Der eigene Ton, ein neues Leben

■ Justiz: Vor zehn Jahren wurde Hatun Sürücü von ihrem jüngeren Bruder Ayhan ermordet, weil sie selbstbestimmt leben wollte. Das Gericht verurteilte ihn zu über neun Jahren Haft, die er inzwischen abgesessen hat. Vermutungen, dass auch zwei ältere Brüder an der Tat beteiligt waren, ließen sich zunächst nicht beweisen. Inzwischen wird wegen Anstiftung zu Mord international nach ihnen gefahndet. Sie sollen sich in der Türkei aufhalten. Auch dort haben Behörden Ermittlungen aufgenommen.

■ Anlaufstellen: Bedrohte Frauen und Mädchen bekommen Hilfe bei Papatya, Informationen unter www.papatya.org/. Sie können sich auch an den Jugendnotdienst wenden unter 030-610062.

■ Die Papatya-Mitarbeiterinnen machten die Erfahrung, dass viele Mädchen und junge Frauen Angst davor haben, ins Herkunftsland der Eltern gebracht und dort zwangsverheiratet zu werden. Deshalb riefen sie 2013 eine Koordinationsstelle gegen Verschleppung ins Leben, für die sie von der Aktion Mensch eine dreijährige Finanzierung erhielten. (all)

In diesen Tagen wird wieder viel über familiäre Gewalt im Namen der Ehre gesprochen. Ein trauriges Jubiläum steht an: Am heutigen Samstag vor zehn Jahren wurde die kurdischstämmige Hatun Sürücü von ihrem Bruder Ayhan an einer Bushaltestelle in Tempelhof erschossen, weil sie in den Augen ihrer Familie ein zu westliches Leben führte. Ayhan Sürücü räumte die Tat ein und saß über neun Jahre im Gefängnis. Im vergangenen Juli schob die Ausländerbehörde ihn in die Türkei ab. Auch hinter Gittern habe er keine „plausible Reue“ gezeigt, hieß es im Ausweisungsbescheid. Zwei ältere Brüder sollen sich ebenfalls in der Türkei aufhalten. Nach ihnen wird wegen Anstiftung zum Mord international gefahndet.

Sogenannte Ehrenmorde sind der extremste Ausdruck von Gewalt im Namen der Ehre. Die Unterdrückung von Mädchen und Frauen in einem patriarchalen System beginnt schon viel früher.

Beim Treffen im Jugendnotdienst schreibt Halwa al-Salwa das Wort „Ehrenmord“ in ihr Notizbuch. Sie kritzelt nachdenklich drumherum. „Bei der Diskussion um Ehrenmorde stehen wieder die Männer im Vordergrund“, sagt sie. Was soll das sein, ein ehrenvoller Mord? Schon der Begriff übernehme allein die männliche Perspektive.

Halwa al-Salwa trägt in Wirklichkeit einen anderen Namen. Doch ihre Familie soll nichts von dem Text hier erfahren. Auch sechs Jahre nach ihrer Flucht hat sie Angst, dass ihr Vater sie findet. Was dann passieren würde? „Ich weiß es nicht“, sagt sie.

Es fällt ihr nicht leicht, sich hinter einem Pseudonym zu verstecken. In den Jahren nach 2009 lebte sie weitgehend anonym. Erst nach und nach wurde sie mutiger. Seit einiger Zeit traut sie sich, ihren Namen auf das Klingelschild an der Haustür zu kleben. Ein kleiner Sieg: Ihre Familie hat nicht mehr so viel Macht über sie.

Die 24-Jährige beginnt gerade erst, sichtbar zu werden. Und nun muss sie sich von ihrem Namen wieder trennen. Sie überlegt. Wenn schon, dann sollte das Pseudonym schön sein, sagt sie. „Halwa“ wie die Süßigkeit. Sie lächelt amüsiert. Ein Kunstname ist das, aber er gefällt ihr.

Nach außen integriert

Ihre Familie stammt aus Palästina, Anfang der 90er Jahre kamen die al-Salwas nach Berlin. Halwa und ihre kleine Schwester wuchsen in einem vierstöckigen Wohnblock im Westen der Stadt auf. Eine ruhige, grüne Gegend, kein sozialer Wohnungsbau. Viele Rentner leben hier, wenige Migranten. Eine Birke steht vor ihrem Fenster. „Die hat mir viel Trost gespendet“, erzählt Halwa.

Von außen betrachtet gelang die Integration hervorragend: Die al-Salwas lernten schnell Deutsch. Der Vater fand einen Job als Computerfachmann. Sie hatten genug Geld für die Wohnung, für ein Auto, für den Urlaub. Halwa besuchte das Gymnasium.

Doch die Innensicht war eine andere. Als Jugendliche durfte Halwa nicht mit dem Fahrrad in die Schule fahren, sondern musste erst laufen, dann den Bus und dann die U-Bahn nehmen. Der Vater wollte es so. Ab und zu fuhr er mit dem Auto hinterher und kontrollierte, ob sie sich an seine Weisung hielt. Sie musste nach der Schule sofort nach Hause kommen. Wollte sie raus gehen, brauchte sie seine Erlaubnis. Sie durfte keine engen Hosen tragen, sie durfte sich weder schminken noch Musik hören. Sie sollte auch nicht zu lange am Fenster stehen. Sie könnte gesehen werden, das schickt sich nicht.

„Die Verbote lagen immer in der Luft. Wozu sie gut sein sollen, wurde mir nie erklärt“, erzählt sie.

Der Vater habe sie schon als Kind geschlagen, erzählt Halwa. Je älter sie wurde, desto öfter sei es zu Konflikten gekommen. Er schlug sie mit dem Kopf gegen die Wand. Er drückte ihren Kopf auf den Tisch, bis die Nase blutete. Er warf Bücher nach ihr. Er zerrte sie an ihren Haaren durch den Raum. Er trat mit seinen schicken Herrenschuhen auf ihre Zehen. Er sagte: „Nimm die Brille ab“ und schlug ihr ins Gesicht. Halwa erinnert sich an viele Szenen wie diese. Sie rasselt die Gewalterfahrungen herunter, als handle es sich um Fußballergebnisse.

Die Mutter habe wortlos zugeschaut. An dieser Stelle beginnt Halwa zu weinen. Dem Vater könne sie eher verzeihen als der Mutter, sagt sie. Von ihr fühlt sie sich verraten. „Ich an ihrer Stelle hätte eingegriffen. Oder wenigstens nicht gepetzt.“

Es ist gut möglich, dass Halwas Eltern dies anders darstellen und erklären würden. Doch man kann sie nicht fragen, ohne Halwa zu gefährden.

Die entzog sich der Fremdbestimmung durch Mogelei. Sie schminkte sich an der Bushaltestelle auf dem Weg zur Schule, erzählt sie. Sie hörte nachts heimlich Radio. Briefe versteckte sie im BH. Sie behauptete, die Ferien seien vorbei. Und fuhr tagelang mit der U-Bahn durch die Stadt.

Halwa lief mit Chucks herum, wurde ein bisschen punkig. Der Versuch einer äußerlichen Auflehnung. Doch in der Familie musste sie weiter gehorchen. Sie interessierte sich für Theater, für Kunst oder Journalismus. Auch das sah der Vater nicht gern. „Wäre ich geblieben, hätte ich vielleicht als Schreibkraft in einem Büro arbeiten müssen oder so etwas“, schätzt sie.

Der Vater sei mit den Jahren verbitterter geworden, erzählt Halwa. Er redete von den Juden, die die Finanzmärkte kontrollieren würden. Von den Amerikanern, die ihre Marionetten seien.

Am 11. September 2001 krachten die Flugzeuge ins World Trade Center. Für den Vater ein Tag der Freude, sagt Halwa, damals elf Jahre alt. Er habe sich durch die Fernsehprogramme gezappt und gefeiert. In der Folgezeit wendete er sich stärker dem Islam zu, erinnert sie sich. Er informierte sich nun hauptsächlich über Al-Dschasira.

Halwa wünschte sich, dass ihr Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt. Manchmal wünschte sie sich auch, sie selbst würde überfahren.

In der Schule fiel Halwa auf. Schon in der fünften Klasse sei wegen der blauen Flecken das Jugendamt eingeschaltet worden, sagt sie. Doch sie wollte dem Vater damals nicht öffentlich in den Rücken fallen. Von da an kümmerten sich die Sozialarbeiter der Schule mehr um sie, betreuten sie in einem Schülerklub.

Die Hilfe in der Not

Es war auch eine Lehrerin, die ihr von der Hilfsorganisation Papatya erzählte.

Lange habe sie sich Sorgen um ihre kleine Schwester gemacht und sei deshalb zu Hause geblieben, erzählt Halwa. Mit 18 befindet sie, dass es an der Zeit ist, sich um sich selbst zu kümmern.

Papatya wurde 1986 gegründet, um Mädchen türkischer und kurdischer Herkunft vor ihren Familien zu schützen. Der Jugendnotdienst wusste sich nicht zu helfen, wenn die jungen Frauen zu ihnen flüchteten, die Eltern und Brüder dann vor der Tür standen und Druck machten. Bei Papatya ist das nicht möglich: Der Standort der Zufluchtswohnung wird geheim gehalten.

Auch Eva Kaiser ist zum Treffen im Jugendnotdienst gekommen, eine zugewandte, gestandene Frau. Sie und Halwa umarmen sich zur Begrüßung. Kaiser leitet Papatya seit 20 Jahren. Auch sie will ihren echten Namen nicht veröffentlichen, um ihre Klientinnen und sich selbst zu schützen. Rund 1.000 Mädchen und junge Frauen, die vor ihrer Familie wegliefen, hat sie kennengelernt. Hatun Sürücü war nicht dabei.

Aber andere, die verschwanden. Oder ermordet wurden.

Im selben Jahr wie Hatun Sürücü wurde in Reinickendorf Semra Uzun erstochen. Fünf Jahre zuvor hatte sie sich an Papatya gewandt, weil sie mit ihrem Cousin zwangsverheiratet werden sollte, berichtet Kaiser. Es gab Gespräche im Jugendamt. Der Vater unterschrieb, sie nicht zu verheiraten. Semra kehrte nach Hause zurück. Laut Papatya schickten die Eltern sie dann doch in die Türkei und verheirateten sie mit dem Cousin. Semra bekam ein Kind, ließ sich scheiden. Der Exmann ermordete sie kurz darauf.

60 Mädchen und junge Frauen betreuen die Papatya-Mitarbeiterinnen im Schnitt pro Jahr. Viele kommen aus Berlin, einige auch aus anderen Bundesländern. Die Zahl sei seit Langem konstant, erzählt Kaiser. Die Altersspanne reiche von 13 bis 21 Jahren. Manche bleiben ein paar Tage, andere ein halbes Jahr. Der Senat fördert das Projekt mit 350.000 Euro jährlich, 100.000 Euro finanzieren Kaiser und ihre Kolleginnen zudem über Spenden und Projektanträge.

Zuletzt kamen zu Papatya deutlich weniger Frauen aus türkischen oder kurdischen Familien, erzählt die Leiterin. „Wir haben mehr Mädchen arabischer Herkunft.“ Sie führt das auf die steigenden Flüchtlingszahlen etwa aus Syrien zurück. Auch seien die Töchter der Familien, die vor dem Golfkrieg nach Deutschland flüchteten, inzwischen junge Frauen. Und damit in dem Alter, einen eigenen Weg einzufordern.

Ortung des Handys

Wer zu Papatya will, muss den Umweg über den Jugendnotdienst nehmen. So auch Halwa. Im März 2009 brachte sie eine Mitarbeiterin von hier aus zur Zufluchtswohnung. Für die Dauer des Aufenthalts musste sie ihr Handy abgeben. Die Mädchen können sonst von ihren Familien geortet werden, erklärt Kaiser. Manche steigen deshalb wieder aus. Halwa sagt: „Ich war froh das Handy los zu sein. Mein Vater hat mich ständig darauf angerufen, um mich zu kontrollieren.“

Ihre Eltern gingen zur Polizei, erfuhr sie später von einer Bekannten. Doch Halwa war volljährig, sie hatten keinerlei rechtliche Handhabe, um sie zurückzuholen.

Ihr neues Leben begann in einer Maisonettewohnung im Hinterhof eines Altbaus. Acht Mädchen können hier unterkommen. Das Herzstück ist die Küche mit dem großen Tisch, erzählt Halwa al-Salwa. Hier spielten die jungen Frauen Karten, hier wachsten sie sich die Beine.

Als sie ankam, sah Halwa die Papatya-Mitarbeiterinnen am Tisch zusammenstehen. Man merkt ihr die Begeisterung jetzt noch an. „Eine coole Frau neben der anderen. Sie quatschen, trinken Kaffee, sehen toll aus. Genau solche Frauen wollte ich kennenlernen.“

Kaiser und ihre Kolleginnen helfen den zu ihnen geflüchteten jungen Frauen beim Start in ein neues, selbstbestimmtes Leben – wenn sie denn wollen. Viele halten den Bruch mit der Familie nicht lange aus. „Etwa ein Drittel geht nach Hause zurück, in gleichbleibend schlechte oder noch schlimmere Verhältnisse“, berichtet Kaiser.

Halwa nicht. Mithilfe von Papatya wechselte sie die Schule und begann eine Psychotherapie. Nach etwa einem Monat zog sie in eine von Sozialarbeitern betreute, staatlich finanzierte Wohngemeinschaft. Nach Mitte, zwischen Cafés und szenigen Läden. In so einer Gegend wollte sie schon immer leben.

Sie ging joggen, ernährte sich von Tiefkühlpizza und Döner, kaufte jede Menge Klamotten, begann zu rauchen. Sie las Bücher und malte. Sie hörte Musik und sang, wenn ihr danach war.

Sie tat zum ersten Mal einfach das, was sie wollte.

Auch Hatun Sürücü hatte sich von ihrer Familie losgesagt, um selbstbestimmt zu leben. Sie hatte einen Freund, machte eine Ausbildung, rauchte. Und wurde ermordet.

Eine junge Frau pakistanischer Herkunft mit einer ähnlichen Geschichte wie die von Halwa wohnte ebenfalls in der WG. Sie saßen in der Küche, kochten und tranken Bier. Sie redeten über die Schläge, die sie abbekommen hatten, und weinten. Irgendwann wich das Weinen einem befreienden Lachen. Sie machten sich lustig über die Väter, die in ihrer Gewalttätigkeit hilflos wirkten. „Das war besser als die Therapie“, erzählt Halwa.

Im Griff der Vergangenheit

Trotzdem ließ die Vergangenheit sie nicht los. In den Männern auf der Straße meinte sie öfters den Vater zu erkennen.

Einmal traf sie ihn wirklich, erzählt sie, in der S-Bahn. Sie schaute zur Seite, stieg bei der nächsten Station aus und rief aufgelöst ihre Betreuerin an. Ansonsten passierte nichts. „Vielleicht ist meine Angst größer als die Realität“, sagt sie.

Halwa al-Salwa lernte in dieser Zeit auch Männer kennen, hatte einen ersten Freund, erlebte die erste Trennung. Sie zog um in eine normale WG. Sie traf Freunde, ging viel aus, kiffte. Der Unterricht am Gymnasium interessierte sie immer weniger. Sie brach die Schule ab. Auch aus Trotz. „Hätte ich einen Abschluss gemacht, wäre ich den Weg gegangen, den mein Vater für mich vorgesehen hat“, erklärt sie.

Halwa landete als Praktikantin beim Theater. Drei Jahre blieb sie bei einer kleineren Bühne. Sie bezog Hartz IV. Nebenbei begann sie zu kellnern. Immer wieder holten Depressionen sie ein.

Es ist nicht leicht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, wenn man dazu erzogen wurde, genau das nicht zu tun.

Halwa sagt: „Meine Flucht war das erste, was ich selbst geschafft habe. Darüber definierte ich mich.“ Es sei lange Zeit auch das Letzte gewesen, was sie selbst in die Hand nahm. Sie war voller Vorwürfe der Welt gegenüber, die ihr so übel mitgespielt hatte. Das blockierte sie.

Fragen nach der Religion

Zu Besuch bei Halwa al-Salwa. Sie lebt in einer Einzimmerwohnung in der Innenstadt, im Seitenflügel eines Altbaus. Hohe Decken, ein orientalischer Teppich bedeckt das Laminat. Das Bett hat sie mit zwei Kleiderständern voll Klamotten vom Rest des Raumes abgetrennt. Auf dem Schreibtisch leuchtet der Bildschirm eines MacBooks.

Halwa al-Salwa ist gerade erst von der Schule nach Hause gekommen, seit Herbst macht sie eine Ausbildung im Medienbereich. Sie trägt schwarze enge Kleider. Sie dreht das Radio an. „ … die Islamisierung des Abendlands …“, tönt die Stimme eines Nachrichtensprechers durch den Raum. Halwa wechselt zu einem Musiksender. In der kleinen Küche setzt sie einen Tee auf.

Die Fensterbank dient ihr als Bücherregal. Auch Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ steht dort. Sie habe es sich gekauft, um zu wissen, ob er ihr Freund ist oder ihr Feind. Die Lektüre war ihr dann aber doch zu trocken und langatmig.

Eine Zeit lang habe sie viele islamkritische Texte gelesen, erzählt sie. „Ich wollte herauszukriegen, warum es in meiner Familie so schrecklich war.“ Sie gab damals dem Islam und ihrer Herkunft die Schuld an ihrem Unglück. Lange bestand Halwa darauf, dass ihr Name nicht arabisch, sondern deutsch ausgesprochen wird.

Dabei hatte ihr Vater sie nicht besonders religiös erzogen. Er lehnte es ab, dass Halwa ein Kopftuch trug, erzählt sie. Aber die traditionelle Rollenverteilung, die setzte er patriarchalisch durch. Die Vorstellung, dass ein ehrenhaftes Mädchen vor westlichen Einflüssen geschützt werden muss. Und im Zweifel gezüchtigt.

Vor einiger Zeit reiste Halwa al-Salwa nach Palästina. Sie meint, dort noch eine andere Erklärung für das Verhalten ihrer Eltern gefunden zu haben. Viele Palästinenser verstünden sich als Opfer der Israelis. Dieses Selbstverständnis habe der Vater schon aus seiner Heimat mit nach Deutschland gebracht, meint sie. In dieser Haltung verharrte er. „Er fühlte sich hier immer als Ausländer“, erzählt sie. Auch das könnte ein Grund für seine Ausbrüche sein.

Später in Berlin sah sie einen Mann in der U-Bahn, der sie an ihren Vater erinnerte. Er hatte dieselben dunklen Augen, mit tiefen Ringen darunter. Er sah müde aus, resigniert. In diesem Moment ging Halwa auf, dass auch sie diese dunklen Augen hat. Und dass auch sie sich vor allem als Opfer fühlte, als Opfer der eigenen Familie.

Keine Ohnmacht mehr

Sie fasste einen Beschluss. Sehr bestimmt sagt sie: „Ich will so nicht sein. Ich will diese Ohnmacht und das Mitleid nicht mehr.“

Es wäre zu viel zu sagen, Halwa habe ihren Frieden gemacht mit ihrer Geschichte. Aber die Wut ist abgeflaut. Sie sieht arabische Familien auf der Straße, ohne dort gleich ein Unglück zu vermuten. Im Gegenteil, sie genießt es inzwischen, wenn sie irgendwo Arabisch hört.

Sie sagt, sie habe viel von ihrem Vater, die märchenhafte Art zu erzählen, das Impulsive. „Ich will diese Energie nutzen für etwas Positives.“

Halwa dreht sich eine Zigarette. Eigentlich rauche sie ja gar nicht mehr, sagt sie vergnügt. Ihr Freund kommt gleich, sie wollen den Abend zusammen verbringen. Sie sagt, sie schließe inzwischen nicht mehr völlig aus, sich irgendwann wieder bei der Familie zu melden. Selbstbewusst würde sie auftreten wollen, nicht wie das verschüchterte Mädchen, als das sie sich in Erinnerung hat.

Irgendwann will sie auch auf einer Theaterbühne stehen können, in aller Öffentlichkeit. Mit ihrem echten Namen. Und keine Angst mehr haben.

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