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SELBSTBESTIMMT Weil sie ihr Leben nach ihren Vorstellungen leben wollte, wurde Hatun Sürücü von ihrem Bruder ermordet, heute vor zehn Jahren. Auch Halwa al-Salwa brach mit ihrer Familie und wagt ein neues Leben – weiter in der Angst, dass ihr Vater sie findet

VON ANTJE LANG-LENDORFF

Man sieht ihr die Musik an. Federnd kommt die junge schlanke Frau die Stufen hinauf zur Eingangstür des Jugendnotdienstes. Die Regentropfen perlen von ihrer schwarzen Hornbrille. Sie schiebt die weißen großen Kopfhörer ins dunkle Haar und lächelt, leicht außer Atem. „Sind wir verabredet?“

Im Frühling 2009 stand Halwa al-Salwa schon einmal vor dieser Tür am Tegeler Weg in Charlottenburg. Damals schien die Sonne, es war viel zu warm für die Jahreszeit. Trotzdem trug al-Salwa einen schwarzen Mantel. Falls sie ihn später brauchen würde. Sie hatte eine Tasche bei sich, darin ein paar Kleider, Fotos, Schulhefte, einen Stick mit Daten darauf.

An diesem Tag lief al-Salwa von ihrer Familie weg. Weg von den Schlägen ihres Vaters, weg von der Fremdbestimmung. Weg von all den Verboten, die für sie als Mädchen in der Familie galten.

Sie ließ ihr altes Leben hinter sich. Und begann ein neues, von dem sie nicht mehr wusste, als dass es besser werden musste.

Halwas Geschichte SEITE 44, 45