Schule denen, die drin lernen!

BILDUNG Bremer SchülerInnen protestieren seit Ende August, sie diskutieren und besetzen Schulen und Kreuzungen. Anlass sind die Stundenkürzungen, es geht gleichzeitig um eine Idealvorstellung von Schule

■ 7.-15. SeptemberDas Kollektiv „Fort Bildung“, ende August gegründet, besetzt vier Schulen und bleibt über Nacht. Während den Besetzungen erarbeiten die SchülerInnen einen vorläufigen Forderungskatalog.

■ 29. September Renate Jürgens-Pieper (SPD) trifft das Kollektiv im Gym. a.d. Hamburgerstr. Dort diskutierten die SchülerInnen mit der Bildungssenatorin. Erste Gespräche mit Parteien laufen an.

■ 4.-7. Oktober Hunderte SchülerInnen blockieren dezentral mehrere Kreuzungen in der Bremer Innenstadt. Die Proteste gipfeln in der Blockade der Hochstraße vor der Bildungsbehörde.

■ 13.OktoberIm Anschluss an eine Demonstration des Bremer Bündnisses für Bildung nehmen dutzende SchülerInnen an der öffentlichen Bildungsdeputations-Sitzung teil und stellen ihre Forderungen vor. Unser Eindruck: Die Senatorin ignoriert die Anliegen der SchülerInnen komplett und hat nur ihre Töpfe im Kopf. Rênas Kejo

ei „Fort Bildung“ beschäftigen wir uns mit tagesaktuellen Problemen, wie den diesen Sommer beschlossenen Stundenkürzungen und bieten hierfür konkrete Lösungsansätze. Wir denken nicht kurzfristig, sondern versuchen das Aufkommen von Interessenskonflikten, wie dem aktuell spürbaren zwischen den SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern auf der einen, der Behörde und Politik auf der anderen Seite, welche erst im Nachhinein entstehen, zu unterbinden. Dies wäre wesentlich demokratischer, wenn die Betroffenen in der Deputation bereits in die Entscheidungsfindungsprozesse – welche vor dem Beschluss stattfinden – miteinbezogen werden.

Ob nun durch die diesjährigen Lehrerstundenkürzungen entstanden, oder durch die Haltung der Politik, die Bildung in Bremen zu vernachlässigen, um im Haushalt einzusparen, konkrete Probleme finden sich überall. Kurse werden einfach gestrichen, obwohl 20 Schüler diesen gerne wahrnehmen möchten und sich eventuell auch in dem Schulfach prüfen lassen möchten, Anwahlen haben, Leistungskurse werden gemeinsam mit Grundkursen unterrichtet, als Huckepackkurse bezeichnet, Fächer werden monatelang, teilweise ein Halbjahr oder länger nicht unterrichtet, da Lehrerkapazitäten fehlen, um den Ausfall anderer Lehrkräfte zu kompensieren, Kurse oder Profile sind so überfüllt, dass sie über die Grenze des erträglichen für Lehrkräfte und Schüler hinausgehen, dass es an Stühlen und Tischen mangelt, die Fensterbank als Sitz- und Schreibgelegenheit herhalten muss, dass die Luft in den Räumen unerträglich ist und die Fenster von der Lehrkraft nicht zu öffnen, um hier nur ein Paar der von uns gesammelten Kritikpunkte an den Lernbedingungen zu nennen.

Wir beschäftigen uns aber nicht nur mit dem Eingehen auf konkrete bildungspolitische Beschlüsse, durch das politische Engagement in einem bestimmten Themenbereich bilden sich auch Ideale, und diese Ideale sind der Grundbaustein des Denkens und des Handelns. Das Kollektiv „Fort Bildung“ versucht auf Basis des lebendigen Pluralismus diese Ideale zu gemeinsamen Forderungen und Vorstellungen zusammenzufassen.

Eine wichtige Erkenntnis, die wir im Kollektiv machten, war, dass politische Forderungen nichts anderes als Verbesserungsvorschläge und Kritik an Bestehendem sind, und doch bereits in ihrem Grundsatz differieren. Es gibt Forderungen, die sich dem bestehenden System anpassen und realpolitisch zu betrachten sind, und welche, die vollkommen unabhängig von der aktuellen politischen Landschaft Ideale konkretisieren. Beides findet sich in unseren Forderungen wieder – und beides besitzt auch seinen Stellenwert – mit gutem Grund. PAUL KREINER

Mit „Fort Bildung“ wird nicht nur ein politisches Ziel verfolgt, sondern durch die Teilnahme an einer graswurzel-demokratischen Initiative auch ein Lernprozess angestoßen, der über schulische Inhalte hinausgeht. Ein sehr heterogenes Spektrum an Weltanschauungen und Wissensständen von Einzelnen trifft im Kollektiv aufeinander. Statt sich in kleinlichen Grabenkämpfen zu verlieren wird versucht, diese Vielfalt als Kraft zu erkennen und daraus entstehende Spannungen in Kreativität umzusetzen. Oft entwickeln sich aus kuriosen Ideen im Plenum ausgereifte Aktionen, die die Grenzen zwischen Politik und Kunst verwischen.

In der Bildungsdeputation wurden etwa die Forderungen des Kollektivs in einem anschwellenden Chor vorgetragen, um darzustellen, dass EntscheidungsträgerInnen nicht zuhören. Die Senatorin allerdings las dabei in ihrem Terminplaner …

„Fort Bildung“ dient neben der Verbesserung des Bildungssystems auch der Bildung selbst. Die Beteiligten lernen durch die kollektive Zusammenarbeit viel über die Funktionsweise unserer Demokratie und ihrer Probleme. Zudem eignen sie sich planerische Fähigkeiten an, etwa die Organisation einer Demonstration oder eines Solidaritäts-Konzertes.

Die Bildungspolitik in diesem Land ist nicht hinnehmbar! Setzt Euch mit uns für eine lebenswerte Zukunft ein, diskutiert mit uns über Forderungen, plant Aktionen und macht mit bei unserem Kampf für eine bessere Bildung!

Alle Treffen und Aktionen werden im Vorfeld über unsere Homepage fortbildung.bplaced.net, sowie über unseren Facebook-Account „Fort Bildung“ verbreitet. Alle sind bei unseren Treffen willkommen. Bringt Eure Freunde mit! JET

Auch die Kommunikation ist ein weiteres Element dieses Bildungsprozesses. Durch die andauernden Debatten und Reflexion durch die Gruppe wird allen die Möglichkeit gegeben, Defizite in der eigenen Kommunikation zu erkennen und abzubauen: ob große Schüchternheit oder übergroßes Sendungsbewusstsein. Wenn jemand die Debatte dominiert und anderen keinen Raum für ihre Meinungen und Ansichten lässt, kommt aus der Gruppe heraus die Aufforderung sich zurückzunehmen, beziehungsweise Rücksicht zu nehmen. Einfach mal die Klappe zu halten will gelernt sein. Weiterhin fragt die Gruppe bei absoluter Stille oder Nichtteilnahme an einer Debatte aktiv nach Meinungen und Ansichten aller. Eine Methode, um einen Konsensbeschluss zu finden ist das „Dualistische Redeverhalten“. Dabei wird während eines Gesprächs von allen Teilnehmenden durch Handzeichen signalisiert, ob dem Gesagten zugestimmt, es abgelehnt oder ein Veto eingelegt wird. Dies fügt der eindimensionalen akustischen Kommunikation eine zweite Dimension, die der Optik, hinzu.

Auch ist „Fort Bildung“ einer der Orte, an denen viele jüngere SchülerInnen erstmalig mit realer Politik konfrontiert werden. Somit sind sie in der Lage, sich abseits von Ideologismen und Theorien selbst ein Bild zu machen und eine fundierte Meinung auszuarbeiten. Das Kollektiv ist somit der bestmögliche Politikunterricht, den man in unserem Bildungssystem realisieren kann.  JESKO SCHAEFER