Ambivalenzen aushalten mit Lüül und dem Upon You Diary

Der Musiker Lutz Ulbrich gelangte durch seine Mitgliedschaft in verschiedenen Rockmusikformationen zu gewisser Bekanntheit. Vor sehr langer Zeit spielte er die Gitarre bei den legendären Krautrock-Bands Agitation Free und Ash Ra Tempel, während der Neuen Deutschen Welle versuchte er sich als Popstar, arbeitete dann beim Rocktheater Reineke Fuchs und war schließlich Mitbegründer der in Berlin recht beliebten 17 Hippies. Auch unter seinem Spitznamen Lüül veröffentlichte er diverse Schallplatten, aber zu richtiger Berühmtheit beförderte ihn vor allem der Umstand, dass er in den siebziger Jahren eine Weile mit einer gewissen Christa Päffgen sowohl das Bett als auch das Heroinbesteck teilte. Wenn Frau Päffgen auf eine Bühne stieg und sang, dann nannte sie sich Nico und Lüül begleitete sie.

Für sein neues Album „Tourkoller“ hat der mittlerweile 58-jährige Lüül nun einen Song aufgenommen, der „Meine erste hieß Marianne“ heißt und sich mit all den Frauen beschäftigt, die sich in einem langen Leben so angesammelt haben. Liebevoll erinnert er sich an den ersten „Stehblues“, an die ersten beim Geschlechtsakt übertragenen Läuse und auch an Nico: „Dann kam eine große Berühmtheit, die Liebe war wie eine Gruft“, singt er, „wir standen oft am Abgrund, manchmal riech ich noch ihren Duft“.

Das reimt sich nicht nur schön, das ist auch pophistorisch nicht ganz uninteressant. Ansonsten führt die Textexegese von „Tourkoller“ in eine sehr viel weniger glamouröse Welt. Lüül singt vom Alleinsein und ebenso von Hochzeitsfeiern auf dem Dorf, die in einer zünftigen Keilerei enden. Er erzählt, wie es so ist „Nachts in Marokko“ oder „In meiner Kemenate“. Musikalisch wird das entsprechend gestützt, bei Bedarf arabische Folklore angedeutet oder eben ein wenig schläfriger gesungen. Meistens aber darf die Band, die aus dem 17-Hippies-Umfeld stammt, gemütlich ein wenig Rock und ein wenig Folk spielen, also einen unaufgeregten Rahmen liefern für Lüüls Erinnerungen – und da ist ja viel Stoff vorhanden.

So wechselhaft das musikalische Schaffen von Lüül über die Jahrzehnte aber war, auch nur in die Nähe von Upon.You Records ist er niemals geraten. Das Berliner Label, in den neunziger Jahren gegründet von Marco Resmann, Hawks Grunert und Marcus Meinhardt, ist eine der besten Adressen für DJs und Produzenten, deren Tracks an der eh nicht allzu sauber zu ziehenden Grenzlinie zwischen Techno und House entlanggrooven. Channel X, Acumen oder Gunnar Stiller gehören – neben den Chefs selber – zu den prominenten Namen auf dem Label.

„Upon.You Diary #2“ ist als Schaufenster der erfolgreichen Labelarbeit zwar Nachfolger der Compilation Nummer Eins, besitzt aber ein anderes Konzept. Auf „# 1“ fanden sich nur einheimische Produzenten, nun wird das Spektrum internationaler mit Stücken von Mark Henning oder The Glitz. Musikalisch aber bleibt alles beim alten: stoisch ihre Kreise ziehende Tracks, die ihren Detailreichtum erst aus der Monotonie heraus entwickeln und fein ziselierte Atmosphären schaffen. THOMAS WINKLER

■ Lüül: „Tourkoller“ (Made In Germany/Intergroove); live: 22. 10. Quasimodo

■ VA: „Upon.You Diary #2“ (Upon. You Records/Alive), Record Release Party 23. 10., Panoramabar