Welt aus den Fugen

SORGENFALTEN Von der Wirtschaft bedroht. Mit Kriegen konfrontiert. Rassismus auch von Rot-Grün ausgesetzt. Geplagt von Pegida-Märschen und frustriert über Atomförderung. taz-Leserinnen und taz-Leser machen sich Luft über die Verhältnisse

■ betr.: „Mathematik schlägt Politik“, taz vom 2. 2. 15

Dass „die Mathematik“ ihre politischen Anwender schlagen können soll, halte ich für Unfug. Für die gesellschaftliche Realität ist allein maßgebend, wer welche Daten erhebt und sie für seine Zwecke hoch- oder runterrechnet. Ist Klaus Hillenbrand wirklich so naiv, dass er Statistiken glaubt, die er nicht selbst gefälscht hat? LOTHAR PICHT, Sandhausen

■ betr.: „Mathematik schlägt Politik“, taz vom 2. 2. 15

Und wer schlägt die Mathematik? Ein Drittel der EU-Bevölkerung lebt im Mangel (Kinderarmut, soziale Teilhabe). In Griechenland leben Menschen dieses Drittels in Not. Das ist das Ergebnis nach 70 Jahren europäischer Friedensordnung, nach Aufbau einer Marktwirtschaft und deren Verdrängung durch neoliberale Globalisierung, deren Erhalt und Sicherung TTIP bewerkstelligen soll. Derweil glimmt in der Ukraine schon die Lunte – der moderne Flughafen liegt in Trümmern. Wiederaufbauinvestitionen mit neuem Wachstum winken. Also das Übliche? Oder geht die westeuropäische Allianz ergebnislos in die Brüche? Welche andere Gesellschaftsstruktur schlägt diese Mathematik? KLAUS WARZECHA, Wiesbaden

■ betr.: „Rebellen starten Großoffensive“, taz vom 5. 2. 15

Die enorme Diskrepanz der westlichen und östlichen Bevölkerung vertieft sich in brutale Gewalt auf beiden Seiten. Ehe man Waffen bereitstellt, sollte man endlich die Historie betrachten! Die Vergangenheit der Westukraine, beeinflusst schon von Zeiten der Kronkolonie Österreichs und ihren Adelskreisen.Westgalizien mit Lemberg übte auch im Zweiten Weltkrieg großen Einfluss auf die Ukraine aus. Lemberg war Sitz des Generalgouvernements und Hitler wollte die Westukraine assimilieren. Der Einfluss des Faschistenführers Bandera sitzt noch heute in vielen Köpfen. Das Donezbecken dagegen beherbergte schon immer Proletarier, politisch und religiös Moskau zugewandt.

Hier helfen keine Waffen! Nur eine respektable Lösung bei getrennter eigener Verwaltung. Kein weiteres Elend! Und Schluss mit unüberlegten Freischärlern aus der Weite Russlands, die aus verstiegener Vaterlandsliebe ihr Leben aufs Spiel setzen.HELGA RAUCH, Altenberge

■ betr.: „So eskaliert man Konflikte“, taz vom 4. 2. 15

Frage an Radio Nassauer: Führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine? Antwort: Im Prinzip ja, aber nicht durch die Brille eines Friedensforschers. Zum Mitschreiben: Die Maidanbewegung hat ein korruptes Regime in Kiew gestürzt, Parlament und Präsident der Ukraine sind danach demokratisch gewählt worden. Die Krim wurde völkerrechtswidrig von Russland militärisch besetzt und annektiert.

Eine von russischem Militär bediente Buk-Batterie hat im Juli ein Passagierflugzeug abgeschossen. Russische Soldaten und Militärtechnik sind zum Großangriff in der Ostukraine angetreten trotz tausendfacher diplomatischer Vermittlungsversuche.

Wie kann ein Wissenschaftler diese Fakten ausblenden? Die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung, wenn Europa nicht in der Lage ist, den Aggressor Putin zu stoppen. Verantwortlich für diesen Krieg sind nicht „Heißsporne in Kiew“ oder US-Verschwörungen. Auch die Tschechoslowakei hatte 1938 ein Recht auf sichere Grenzen, sie wurde alleine gelassen, der Rest ist bekannt. LUTZ MEYER, Berlin

■ betr.: „Das Elend grün-roter Realpolitik“, taz vom 5. 2. 15

Es ist eine Schande. Eine Schande, dass man glaubt, man könne den Behörden in diesen drei „sicheren Herkunftsländern“, die seit Jahren nichts gegen die Diskriminierung der Roma tun, sie zulassen, sie gar befördern, als könne man denen vertrauen.

Und es ist aberwitzig, diesem Innenminister, den die SPD da eingesetzt hat in Baden-Württemberg, der ja nicht nur in Sachen Asyl ein Scharfmacher ist, zu vertrauen, dass er diesen letztendlich aufgezwungenen Asylkompromiss menschenrechtskonform bewältigt.

Am Ende wird Kretschmann nichts bleiben, als zu handeln und die Möglichkeiten, die ein Bundesland hat, zu nutzen, ins Innenministerium hineinzuregieren. JÖRG RUPP, Malsch

■ betr.: „Waffen für den neuen Freund“, taz vom 4. 2. 15

Wieder ein Ukrainebericht in der taz. Wieder versehen mit einem Foto. Diesmal ein ukrainischer Soldat. Und wie immer: Vermummt! Mir fällt auf den vielen unsäglichen Kriegsfotos zunehmend auf, dass fast alle Beteiligten – also Soldaten, Rebellen, Sprecher, Freischärler – immer vermummt sind. Sogar deren Führer auf Pressekonferenzen. Und auch völlig unabhängig von der Gegend oder den Jahreszeiten. Nur so kann man wohl verhindern, dass man für begangene Untaten bestraft wird. Ich wünsche mir, dass die Presse im Allgemeinen und die taz im Besonderen nur mit Menschen spricht oder sie abbildet, die auch Gesicht zeigen. In jeder Hinsicht!WOLFGANG SIEDLER, Langenhagen

■ betr.: „Das Elend grün-roter Realpolitik“, taz vom 5. 2. 15

In der „Behandlung“ der bei uns aus verschiedenen Balkanländern Zuflucht suchenden Romafamilien durch die Ausländerbehörden spielt sicher ein gewisser Antiziganismus eine Rolle. Ihre soziale Situation in den Herkunftsländern „schreit – nicht selten – zum Himmel“. Ergibt sich nicht als moralische Konsequenz aus der jüngeren Geschichte Deutschlands, in der „Auschwitz“ das Symbol für den abscheulichsten Zivilisationsbruch darstellt, eine besondere humanitäre Verpflichtung gerade gegenüber der Bevölkerungsgruppe der Sinti und Roma? Waren sie nicht, nach den Millionen Menschen jüdischer Religions- und Kulturzugehörigkeit, mit einer halben Million von den Schergen der deutschen Nazis Ermordeter die zweitgrößte Opfergruppe nationalsozialistischen Rassenwahns? Könnte nicht auch die hervorragende Rede des Bundespräsidenten zur Wiederkehr des 70. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz dazu beitragen, dass die deutschen Ausländerbehörden angesichts der genozidartigen Verbrechen an Sinti und Roma während der Nazidiktatur gegenüber Romafamilien eine besonders sensible humanitäre Haltung praktizieren?

Vielleicht wäre es sinnvoll, den für die Aufenthaltsbewilligung der von Vertreibung bedrohten Familien zuständigen Politikern, zu denen Winfried Kretschmann seit seiner Zustimmung zum Asylkompromiss vom September 2014 in besonderer Weise zählt, zumindest diesen kurzen Auszug aus der Rede Gaucks in Erinnerung zu rufen: „Diese sogenannten Herrenmenschen schreckten auch nicht davor zurück, ‚unwertes‘ Leben zu vernichten, Menschen zu sterilisieren und den politischen Gegner auszuschalten.“ „Herrenmenschen“ fehlt jegliche humane Orientierung. Bürger eines demokratischen Rechtsstaates, und dazu zählen natürlich auch die, welche politische Verantwortung haben, sollten sich gerade um diese bemühen. F. TREBELS, Lüneburg