Vom Straßenkind zum Nobelpreisträger

Mario Renato Capecchi (70) teilt sich dieses Jahr den Nobelpreis für Medizin mit zwei Kollegen. Als Kind lebte Capecchi auf der Straße. Die Nazis hatten seine Mutter in ein KZ verschleppt FOTO: AP

Für Mario R. Capecchi ist es eine verspätete Geburtstagsüberraschung. Am Samstag feierte der vielfach geehrte Humangenetiker seinen Siebzigsten. Gestern in der Früh, um drei Uhr morgens, riss ihn in seinem Haus in Salt Lake City im US-Bundesstaat Utah das Telefon aus dem Schlaf. Ein Anruf aus Stockholm: Mario Capecchi ist einer der drei diesjährigen Nobelpreisträger für Medizin. Zusammen mit seinem Landmann Oliver Smithies (82) von der North-Carolina-Universität und dem Briten Martin J. Evans (66) von der Cardiff Universität wird Capecchi für Arbeiten auf dem Gebiet der Stammzellforschung und der Herstellung von transgenen Tieren geehrt.

Capecchi, der seit 1973 an der Universität von Utah arbeitet, hat als Erster in Mäusezellen gezielt Gene stillgelegt. Diese „Knock-out-Mäuse“ sind mittlerweile aus der biomedizinischen Forschung nicht mehr wegzudenken. Über 10.000 Mäusegene konnten so schon kontrolliert ausgeschaltet werden. Später gelang es ihm auch, zusätzliche Gene gezielt in das Erbgut einzubauen. Transgene Mäuse dienen heute als „Modelltiere“ zum besseren Studium von Erbkrankheiten. Für zahlreiche menschliche Krankheiten wurden inzwischen die entsprechenden Tiermodelle hergestellt. Zum Beispiel für Diabetes, Krebs oder Bluthochdruck. Eine Ende ist derzeit nicht abzusehen.

Geboren wurde Capecchi in Italien, in Verona. In seiner Kindheit hätte wohl kaum jemand geglaubt, dass aus dem Jungen einmal ein hoch angesehener Humangenetiker werden sollte, der im Laufe seiner Karriere fast jeden Wissenschaftspreis abräumte. Als Mario Capecchi vier Jahre alt war, verschleppten die deutschen Nazis seine Mutter ins Konzentrationslager Dachau. Fast fünf Jahre war der Junge von seiner Mutter getrennt. Als Straßenkind, das zum Überleben betteln und klauen musste, schlug Capecchi sich durch. Für Christer Betsholtz, Mitglied beim Nobelkomitee in Stockholm, ist der Nobelpreisträger deshalb ein „Beispiel für den amerikanischen Traum“.

Nach Ende des Krieges ging Capecchis Mutter mit ihm in die USA, wo er in der Schule erst einmal Englisch lernen musste. Nach einem Physik- und Chemiestudium arbeitete Capecchi in Havard bei James Watson, dem Entdecker der DNA-Helix. Ihm habe er auch seine Karriere zu verdanken, sagte Capecchi später einmal, als er weltweit schon einen Namen hatte.

Seit 1989 ist Capecchi offizieller „Investigator“ am Howard Hughes Medical Insitute der Universität von Utah. Sie gilt als eine Kaderschmiede für Nobelpreisträger. Von den derzeit 300 Forschern, die dort arbeiten, haben elf schon eine Nobelpreismedaille zu Hause liegen.

WOLFGANG LÖHR