STADTGESPRÄCH: U-Bahn-Fahrer oder Kran-Bedi
WEGE AUS DEM STAU? DELHI HAT DIE WAHL ZWISCHEN UNKONVENTIONELLEN CHIEF-MINISTER-KANDIDATEN
Das ist Delhi. Offiziell ist der Wahlkampf zu Ende – und alle machen Wahlkampf. Auch Pranab. Er ist Tuktuk-Fahrer und steht neben einer U-Bahn-Station im Osten der indischen Hauptstadt. Stolz zeigt er auf die Rückseite seines grünen Gefährts: Dort ist ein Gesicht zu sehen mit fein gestutztem Schnauzbart und randloser Brille unter weißer Gandhi-Mütze. „Kejriwal ist unser Mann“, sagt Pranab. „Er wird gewinnen.“
13,3 Millionen Wahlberechtigte bestimmen am Samstag in Delhi ihren „Chief Minister“ (Regierenden Bürgermeister). Arvind Kejriwal ist Spitzenkandidat der „Partei des einfachen Mannes“ (Aam-Aadmi-Partei, AAP).
Während Delhis Straßen fest in Händen von Kejriwals Tuktuk-Armada sind, setzt die mächtige Bharatiya-Janata-Partei (BJP) von Premierminister Narendra Modi auf Zeitungsanzeigen: Seitengroß wirbt er auf fast sämtlichen Titeln für seine Spitzenkandidatin Kiran Bedi.
Indische Prognosen sind zwar mit Vorsicht zu genießen, doch gleich drei große Umfragen sehen einen knappen Sieg Kejriwals voraus. Demnach könnte die AAP 36 bis 41 der 70 Parlamentssitze in Delhi erringen. Es wäre ein famoses Comeback für Kejriwal, dem die Tuktuk-Fahrer schon entgegenfiebern. „Kejriwal soll uns hier in Delhi helfen. Er hört uns zu, nicht wie sonst die Politiker“, sagt Pranab.
In der Tat gibt Kejriwal ganz bewusst das Gegenmodell zum indischen Politiker. Er fährt mit einem kleinen, verbeulten blauen Toyota durch die Stadt, steht wie alle meist im Stau, schüttelt dann Hände und spricht mit den Menschen auf der Straße. Kejriwal ist noch nicht lange Politiker, zuvor arbeitete er als Beamter in der Steuerbehörde, bis er 2011 im Kampf für ein Antikorruptionsgesetz zusammen mit Sozialaktivist Anna Hazare in Hungerstreik trat.
Als Indiens Politiker damals das Problem aussitzen wollten, entschloss sich Kejriwal, in die Politik zu gehen, und gründete die Aam-Aadmi-Partei. Im Dezember 2013 wurde er überraschend Bürgermeister und wollte alles anders machen: Zur Amtseinführung fuhr er per U-Bahn. Zusammen mit Hunderten Demonstranten protestierte er eine Nacht lang auf der Straße und holte sich dabei eine Lungenentzündung. Als sein Antikorruptionsgesetz am Widerstand der anderen Parteien zu scheitern drohte, trat er nach nur 49 Tagen im Amt zurück. „Kejriwal hat gezeigt, dass es ihm um die Sache geht“, sagt Pranab. Seine Kritiker werfen ihm vor, er habe sich damals aus der Verantwortung gestohlen. Als er den Sprung in die Landespolitik wagte, erlitt er gegen Narendra Modi eine krachende Niederlage. Der schwimmt seither auf einer Welle des Erfolgs. In Delhi empfängt er die Staatsmänner der Welt, jüngst auch US-Präsident Barack Obama. Seine Bharatiya-Janata-Partei eilt von Wahlsieg zu Wahlsieg. Doch ausgerechnet in Delhi liegt die BJP einigen Umfragen zufolge auf Platz zwei.
Es wäre eine bittere Niederlage für den erfolgsverwöhnten Premierminister. Im Unterhaus verfügt Modi seit der Parlamentswahl zwar über eine große Mehrheit, doch im fast ebenso wichtigen Oberhaus fehlt sie ihm, um seine umfassende Reformagenda durchsetzen zu können. Entsprechend stark engagiert er sich bei regionalen Wahlen. Bei den vier Abstimmungen seit seinem Amtsantritt war Modi das perfekte Zugpferd für seine Partei.
Für die Delhi-Wahl zog Modi ein weiteres Ass aus dem Ärmel. Gegen den Anti-Politiker Kejriwal schickte er mit Kiran Bedi ebenfalls eine Quereinsteigerin ins Rennen: Die 65 Jahre alte Inderin mit kessem Kurzhaarschnitt, dezenter Brille und kleinen Ohrringen scheut keine Kontroverse. 1972 trat sie als erste Frau in die indische Polizei ein und stieg zur Polizeipräsidentin auf.
Weil sie in ihrer Amtszeit selbst den im Halteverbot geparkten Wagen der damaligen Ministerpräsidentin Indira Gandhi mit einem Kran abgeschleppt haben soll, erhielt sie den Spitznamen „Kran-Bedi“.
Würde man lediglich die katastrophalen Verkehrsverhältnisse in Delhi verbessern wollen, wäre die heutige Wahl auf jeden Fall ein guter Tag für Indiens Hauptstadt – egal ob Kejriwal gewinnt, der zur Amtseinführung mit der U-Bahn fährt, oder Bedi, die mit Leidenschaft falsch geparkte Autos abschleppen lässt.
MICHAEL RADUNSKI AUS DELHI
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