Ein Ohrenputzer

Markus Poschner, Bremens neuer Generalmusikdirektor, präsentiert sich als hochenergetischer Orchesterchef

So ein „Antrittskonzert“ ist ein Genre für sich: Auf jede Geste wird penibel geachtet. Gut also, dass nur die Wenigsten den Fauxpas gleich zu Beginn des „Hexensabbats“ in Hector Berlioz’ „Symphonie fantastique“ mitbekommen: Markus Poschner, dem neuen Generalmusikdirektor, rutscht der Stab aus der Hand, doch blitzschnell ist ein Bratschist zur Stelle und hilft seinem neuen Chef aus der Patsche. Ein perfektes Zusammenspiel.

Poschner, der Fußball-Fan, verfügt über einen fulminanten Antritt: die Fähigkeit zu schnellstmöglicher Beschleunigung. Mit „Don Juan“ von Richard Strauss kann man so einen Blitzstart besonders markant demonstrieren: Aus dem Nichts rasen die Klangkaskaden zum einleitenden Fortissimo-Akkord, Poschner reißt die Arme hoch, wirft seine kräftige Gestalt nach links und rechts, man hat das Gefühl: Allein für diese ersten paar Takte hätte der neue GMD gern ein doppelt so großes Orchester vor sich. Hat er aber nicht. Die Philharmoniker simulieren die imaginierte Soll-Stärke so gut es geht, zum Glück gerät der Strauss bald in intimeres Fahrwasser – und die BremerInnen erleben, dass ihr „Neuer“ nicht nur auf quietschende Reifen steht, sondern auch in Tempo 30-Zonen Intensität auslebt.

Wie gut die ausgesprochen motiviert musizierenden Philharmoniker mit Poschner harmonieren, zeigt sich am überzeugendsten nach dem letzten „Juan“-Höhepunkt: Gemeinsam versinken sie, noch halb delirierend, in der Düsternis des tragischen Abgangs. Diese kurze Passage ist ein so tief empfundener Seufzer, wie ihn nur ein wirklich verschmolzener Organismus hervorbringt.

Poschner beweist sich in der vollbesetzten Glocke als geschickter Programmierer: Um nach all dem Strauss die Ohren wieder frei zu kriegen, ist Alban Bergs Violinkonzert – „Dem Andenken eines Engels“ – genau richtig. Und wenn sogar Frank Peter Zimmermann die substanziell-schlichten Dreiklänge des Beginns spielt, ist man perfekt auf neue Hörerlebnisse jenseits traditioneller sinfonischer Großtaten vorbereitet. Auch Poschner kann hier auf Chef d’Orchestre-Posen verzichten, er stellt sich betont zurückhaltend in den Dienst des bis in die höchste Lage der Sologeige transzendierenden Trauer-Epos.

Wenn sich Poschners Energie tatsächlich in Bremen freien Lauf lässt – bei seinem Vorgänger war das nur begrenzt der Fall – sind die Philharmoniker auf einem neuen Qualitätslevel angekommen. HB