Friede an der Förde

Die Streitereien sind vergessen. Die schwarz-rote Koalition in Schleswig-Holstein geht mit großen Plänen in die zweite Halbzeit. Die Opposition fragt sich: Hält das Zweckbündnis überhaupt so lange?

Einer der Hauptstreitpunkte ist die „Verwaltungsstruktur-Reform“. Dabei geht es um die Neuverteilung von Aufgaben zwischen Land, Kreisen und Gemeinden. Sparen ist das große Ziel des Finanzministers Rainer Wiegard (CDU) – grundsätzlich wollen das auch alle anderen. Vizeministerpräsidentin Ute Erdsiek-Rave (SPD) sagte allerdings, in Kernbereichen wie Schule oder Justiz dürfe nicht gespart werden, während Ministerpräsident Peter Harry Carstensen sich gegen „Scheuklappen“ aussprach. Weitere Themen sind der Ausbau von Krippenplätzen, die Elbquerung bei Glückstadt und die Fehmarnbeltbrücke sowie Aktionspläne gegen Kinderarmut und für Klimaschutz. est

VON ESTHER GEISSLINGER

Nach den jüngsten Streitereien in der schwarz-roten Koalition soll wieder Frieden an der Förde einkehren, so wünschen es sich jedenfalls Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) und seine Stellvertreterin, Frauen- und Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD). Gestern traten sie vor die Presse, um Bilanz ihrer bisherigen Arbeit zu ziehen und die Pläne für die nächste Halbzeit der Regierung in Kiel zu verkünden. Das Ergebnis: „Vieles von dem, was wir uns vor gut zweieinhalb Jahren vorgenommen haben, ist erledigt, angeschoben oder läuft jetzt an“, sagte Carstensen. Und Erdsiek-Rave sekundierte: „Wir werden die Erfolge der vergangenen zweieinhalb Jahre zielstrebig weiter ausbauen.“ Alle Ministerien legten gestern Arbeitspläne vor mit den Punkten, die es bis zu den nächsten Wahlen, 2010, zu erledigen gilt. Dabei lautet die spannende Frage: Hält das Zweckbündnis überhaupt so lange?

Geboren wurde die große Koalition, nachdem Heide Simonis in vier Wahlgängen im Landtag nicht die nötigen Stimmen zusammenbekam. Trotz der Landtagsmehrheit für eine Regierung jenseits der CDU musste die SPD sich in die Rolle der Juniorpartnerin einfügen. Die Führung, voran der Innenminister und heutige Landesvorsitzende Ralf Stegner, machte aber schon anfangs deutlich, dass es ein Bündnis unter Gleichen sei – die SPD hat 29, die CDU 30 Abgeordnete im Landtag.

Obwohl das Kabinett in einigen Bereichen erstaunlich gut zusammenarbeitete, gab es von Anfang an Störfeuer. Immer gut für verbale Spitzen waren Stegner und Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU). Er forderte mehrfach Studiengebühren, obwohl der Koalitionsvertrag sie ausschließt, und er mischte sich in die Atomdebatten ein und verlangte, die Laufzeit des Altmeilers Brunsbüttel zu verlängern – im deutlichen Widerspruch zur Kabinettskollegin Gitta Trauernicht (SPD), die für die Atomaufsicht zuständig ist. Ralf Stegner brachte die CDU auf die Barrikaden, indem er unter anderem vorschlug, den Landesbeamten finanziell entgegenzukommen oder Eltern bei der Schülerbeförderung zu unterstützen – diese Maßnahmen hatte die große Koalition gerade erst beschlossen, um die Schuldenlast des Landes ein wenig zu mildern. Der Streit um die Frage und um die Person Stegners hätte fast mit dem Bruch der Koalition geendet. Entschärft wurde die Lage, weil Stegner seinen Rücktritt anbot – er wird an Januar als Fraktionschef im Landtag sitzen (taz berichtete). Beide Parteien hatten immer wieder Mühe, ihre Basis auf Kurs zu halten.

In der CDU sorgte vor allem die von der SPD gewünschte Gemeinschaftsschule für heftiges Bauchgrimmen: Der Kampf gegen die „Einheitsschule“ war einer der zentralen Wahlkampfthemen. Dennoch ist die Schulpolitik eines der Felder, in denen die Kieler Koalition Weichen gestellt hat. Die für die zweite Halbzeit anstehenden Themen klingen dröge genug: Haushaltskonsolidierung und Verwaltungsstrukturreform lauten die Stichworte. Doch es gibt zahlreiche Knackpunkte. Vor allem die CDU tut sich schwer mit möglichen Änderungen der Kreise.

Zurzeit betonen beide Parteien, an der Koalition festhalten zu wollen: „Für die SPD gibt es keinen Grund, sie aufzukündigen, sagte Stegner der dpa. Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Johann Wadephul sieht dazu keinen Grund: Die anstehenden Projekte und der Personalwechsel in der SPD seien „eine ausreichende Grundlage für die Fortsetzung der großen Koalition“.

Wenn es nach der Opposition geht, war die gestrige Halbzeitbilanz schon ein Abgesang. FDP, Grüne und die Minderheitsvertretung SSW beantragen heute die Auflösung des Landtages und Neuwahlen. Der Antrag werde zwar nicht durchkommen, meint Karl Martin Hentschel (Grüne), aber Neuwahlen werden es dennoch in absehbarer Zeit geben. Anke Spoorendonk (SSW) nannte die gestrige Themenvorstellung „öffentliche Beschwörungsrituale“, die über fehlende Gemeinsamkeit nicht hinwegtäuschen könnten, und Wolfgang Kubicki (FDP) forderte: „Es wird Zeit, dass das Spiel abgepfiffen wird.“