berliner szenen Latenightshopping (2)

Verrat bei Kaiser’s

Es war kein Bier im Haus. Ich wartete bis kurz nach elf und ging dann los. Normalerweise wäre ich zu dem Pizza-Imbiss an der Ecke gegangen. Der Chef dort ist ein sanfter, freundlicher Mann. Er kommt, glaube ich, aus Ägypten. Ich kaufe bei ihm schon seit Jahren und immer spät. In den unterschiedlichsten Zuständen war ich in seinen Laden gestolpert. Er fragte dann immer: „Was darf’s sein, lieber Freund?“, und ich antwortete: „Ich hätte gern ein Bier.“ Manchmal war ich auch übermütig und holte mir dieses delikate, teure, spanische Eis. Oft las er die B.Z., und aus der Lektüre entwickelten sich kleine Gespräche, die mit einem „Ist das nicht traurig …“ begannen. Ich hatte das Gefühl, dass er zu seiner Welt auch nur so halb gehörte. Das ist eine nahe liegende Projektion, da die meisten ja schon schlafen, wenn er seinen Laden gegen halb drei zu macht. Wenn ich’s nicht passend hatte, überließ er mir das Bier oft auch um zehn Cent billiger.

Ich war aber auf dem Weg Richtung Kaiser’s und fühlte mich wie ein Verräter. Die Mittenwalder Straße war ausgestorben. Am Wegesrand lag ein Spätverkauf namens „Aqua“, in dem es Wein und Bier gibt. Hier hatte ich vor ein paar Jahren einmal eine Schachtel „Ché“ gekauft, um die Revolution voranzubringen.

Das letzte Mal kurz vor Ladenschluss war Kaiser’s ziemlich voll gewesen und eine Frau hatte gesagt, manche würden hier klauen „wie die Waldmeister“. Praktisch war aber hier nun gar nichts mehr los. Wir waren sieben und kannten uns nicht. Eine stand stöbernd am Tiefkühlregal, zwei durchstreiften anscheinend ziellos die ausgestorbenen Gänge, drei standen mit glasigen Augen an der Kasse und grinsten während des Bezahlvorgangs. Sonst gab es keine Auffälligkeiten.

DETLEF KUHLBRODT