Berge, Meere, Literaten

Auch in der Literatur wird Geopolitik betrieben. Niels Werber untersucht den Machtanspruch auf Raum genreübergreifend und unterhaltsam

VON CHRISTIAN JÄGER

Geopolitik, das ist politische Praxis, die in ihr Zentrum das Land, die Erde als Boden, stellt. Es geht, wie Niels Werber in seinem jüngst erschienenen Buch ausführt, um die Beanspruchung bestimmter Räume, die ein politisches Subjekt zu benötigen meint, sodass es sie vor Fremden verschließen oder diese aus ihnen vertreiben muss: Wird der falsche Ort beansprucht, werden Freunde zu Feinden. Geopolitik wird also mit einiger Wahrscheinlichkeit bei begrenzten Raumressourcen zum Krieg oder zumindest zur Unterwerfung führen.

Carl Schmitt, der Kronjurist des Dritten Reiches, ist inoffiziell wegen der Schlichtheit seines theoretischen Werkes, offiziell als konservativer Revolutionär seit über zwei Jahrzehnten wieder en vogue. Seine leider oft nicht ernst genug genommene Schrift von 1932, „Der Begriff des Politischen“, stellt, wie auch Niels Werber deutlich macht, Politik im Wesentlichen als Folge von Freund-Feind-Erklärungen dar. Schmitt meint damit nicht, dass irgendjemand jemand anders nicht so gern hat, sondern dass man, erklärt man jemand zum Feind, annimmt, er könne die eigene Existenz vernichten. Diese Sichtweise wiederum legt nahe, ihn nachhaltig daran zu hindern oder ihn selbst zu vernichten. So weit die etwas unterkomplexe politische Logik Schmitts.

Dass Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei, beide also eng miteinander verflochten und sich keineswegs wesensfremd sind, wusste aber auch schon der General und Deserteur Carl von Clausewitz in seinem epochalen Werk „Vom Kriege“. Darin liegt die Modernität dieser Denkfiguren, die uns bei den Kritikern der heutigen Demokratien wieder zu begegnen scheinen: dem Theoretiker des Ausnahmezustandes und Homo sacer, Giorgio Agamben, den Kritikern des „Empire“ und Glorifizierern der „Multitude“, Michael Hardt und Antonio Negri, sowie ihren Vordenkern Gilles Deleuze und Félix Guattari, den Konzeptionisten der „Nomadologie“, des „Rhizoms“, der „Wunsch- und Kriegsmaschinen“, des „schrecklichen totalen Friedens“ und vieler anregender Begriffe mehr. Auch des glatten und des gekerbten Raums. Wobei letztgenannter einen geordneten, durch Macht strukturierten Raum meint, sei es der von Überwachungskameras gerasterte Potsdamer Platz oder das anlässlich hohen Besuchs fortifizierte Heiligendamm. Glatte Räume bezeichnen hingegen weitgehend machtleere Räume, die man sich in Zeiten globaler Satellitenüberwachung am ehesten ex negativo vorstellen kann.

Werber nun schlägt eine Brücke zurück zu den für Schmitts „Nomos der Erde“ überaus wichtigen Begriffen „Land“ und „Meer“, bereitet so auf seine Lektüre von Gustav Freytags „Soll und Haben“ sowie Herman Melvilles „Moby Dick“ vor, jeweils Exempel für die literarische Diskursivierung gekerbter Raum/Land bzw. Meer/glatter Raum. An Freytag schließt Werber Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen“, die, während des Ersten Weltkrieges publiziert, bekanntlich so unpolitisch nicht sind, und folgt diesem Diskurs in die Literatur der 20er und 30er am Beispiel von Arnolt Bronnens Blut-und-Boden-Porno „O.S.“. Sciencefiction respektive Fantasy ist dann das Stichwort, um den erfolgreichsten Roman des 20. Jahrhunderts einzuführen, der in den 40er-Jahren geschrieben wurde: Tolkiens „Herr der Ringe“.

All das sind Geschichten, die – ähnlich wie bereits Freytag – die Geopolitik mit als rassistisch verstehbaren Stereotypen aufladen und so eine Art „Geobiopolitik“ betreiben.

Überzeugend zeigt Werber die lange Dauer der Diskurse über Raum, Krieg und die Geschichte der Medien. Eine historische Tiefendimension erscheint und zeigt das räumlich Reale eines politischen Diskurses auf, der sich ansonsten häufig um abstrakte Vokabeln wie Demokratie und Menschenrechte dreht.

Niels Werber ist als Literaturberichterstatter gewandt und versteht, mit ironischen Wendungen zu unterhalten. Gut und wichtig ist auch die Ursprungsintention des Textes, den raum- und körpervergessenen Apologeten eines Cyberspace, der uns die Freiheit von politischer Repression bringen soll, etwas entgegenzusetzen, nämlich zu zeigen, dass die Computer immer noch irgendwo stehen und eine Pizza essende Wetware dahinterhängt – die immer noch anfällig ist für den Zugriff der Macht im Raum. Diese Absicht ist mit dem angedeuteten Material überzeugend umgesetzt worden. Zweitens zielt der Text offenbar darauf, zu zeigen, dass die modernste politische Theorie nicht so modern ist, wie es scheint, sondern Probleme ventiliert, die bei Hegel angelegt und bei Carl Schmitt ausgeführt sind. Hier wäre weniger Carl Schmitt, mehr Komplexität und Genauigkeit angebracht gewesen. Auch Deleuze und Guattari beziehen sich angelegentlich auf Carl Schmitt, führen sein arg dichotomisches Denken, das als Drittes nur die Entscheidung zwischen Gut und Böse, Freund und Feind, Land und Meer etc. kennt, aber in eine polyperspektivische begriffliche Systematik ein, die politisch präziser ist, allerdings schon bei Hardt und Negri in einer Schwundform erscheint. Diese begriffliche Systematik von Deleuze/Guattari zu rekonstruieren, hätte allerdings auch zu einer Wissenschaftlichkeit führen können, die dem so sehr lesbaren und lesenswerten Buch vielleicht nicht gutgetan hätte. So ist es eine Studie für alle, die Interesse an der Verbindung „Literatur, Medien und Politik“ haben.

Niels Werber: „Die Geopolitik der Literatur. Eine Vermessung der medialen Weltraumordnung“. Carl Hanser, 336 Seiten, 24,90 €