Keine Sekunde steht sie still

HOUSE Ihren ersten großen Auftritt in Berlin feierte Aérea Negrot in Chantals House of Shame. Zum zwölfjährigen Jubiläum der Partyreihe am Donnerstag im Bassy kehrte sie mit einer explosiven Performance zurück

Das ist performte Transsexualität weit außerhalb des Transvestitenkabaretts

VON CARLA BAUM

Bevor Aérea Negrot kommt, ist es ganz Chantals Party. Schick hat sie sich gemacht, im roten Kleid läuft sie aufgeregt umher, Küsschen hier, Küsschen da. „Ich bin so megabusy,“ entschuldigt sie sich gleich nach dem Sekt auf Eis, „Stößchen“, und ist schon wieder weg, den Nächsten begrüßen. Geprostet wird auf das zwölfte Jubiläum ihrer Party, Chantals House of Shame.

„Happy Birthday!“, wird Chantal von allen Seiten zugerufen. Sie genießt es sichtlich. Die Zeiten, in denen sie eine von vielen auf dem Transenstrich in Berlin war, sind längst vorbei. Heute ist sie der allseits verehrte Host ihrer Party, die jeden Donnerstag stattfindet und zu den festen Terminen in der schwulen Partyszene Berlins gehört. Chantals Anhänger sind ihr durch die Clubs gefolgt, ins Goldmine, ins Kinzo. Wo sie war, war Chantals House of Shame. Mittlerweile trifft man sich jede Woche im Bassy Club in Mitte. Was ist das Erfolgsrezept? „Geile Musik, geile, nette, durchgedrehte Typen – und der Showblock,“ sagt ein über und über glitzernder Partygast.

Der Showblock ist immer um zwei Uhr morgens, wenn sich alle schon warmgetanzt haben. In dieser Donnerstagnacht gehört er Aérea Negrot. Gerade hat die Sängerin, die ihre Wurzeln in der House-Szene hat, ihr erstes Soloalbum, „Arabxilla“, herausgebracht, vorher war sie vor allem mit dem House-Projekt Hercules & Love Affair unterwegs. Mit Chantals House of Shame verbindet Aérea Negrot ihr erster größerer Auftritt im Showblock vor ein paar Jahren. Damals kannte sie noch niemand. Jetzt wurde die Jubiläumsfeier so eingerichtet, dass Aérea Negrot dafür Zeit hat, denn die Zeit ist mit dem Erfolg knapper geworden.

Chantal genießt es, sich noch ein bisschen feiern zu lassen, bevor sie Aérea Negrot ankündigt. Die steht dann plötzlich auf der Bühne, das heißt, sie steht keine Sekunde lang, sie tanzt sofort drauflos. Woher sie eigentlich gekommen ist, weiß man nicht genau, aber jetzt ist sie da. Ihre Gliedmaßen werfen sich in verschiedene Richtungen gleichzeitig, sie zuckt, dreht sich, schwingt – doch keine einzige ihrer Bewegungen wirkt unkontrolliert. Ihre geschulte Stimme erklimmt zu rhythmischen Beats scheinbar mühelos luftige Höhen, um sich dann, mal im Segelflug, mal als Bungeejump, in tiefe Schluchten fallen zu lassen. „Ist das wirklich ihre Stimme, oder sind das die Effekte?“, wundert sich eine staunende Zuschauerin. Kein ganz abwegiger Gedanke, so wild, wie Aérea Negrot an den Reglern der Apparate ihres Begleiters herumgreift, aber das ist tatsächlich ihre Stimme.

Das ist mal opernartiger, mal verspielt-quietschiger Gesang mit House- und Technobeats. Es ist, als würde Aérea Negrot alles, was ihr musikalisch mit auf den Weg gegeben wurde, in ihrem Auftritt vereinen: die Ballettausbildung, die Gesangsausbildung am London Centre of Contemporary Musik, die schon als Kind entdeckte Liebe zu elektronischer Musik. Dazu gesellt sich eine pulsierende Energie, die sich in ihrer Performance entlädt. Die drei Quadratmeter Bühne sind entschieden zu klein für die gebürtige Venezolanerin mit dem androgynen Körper, der so ausladende, dabei weder dezidiert männlich noch weiblich konnotierte Bewegungen vollführt. Das ist performte Transsexualität weit außerhalb des Transvestitenkabaretts. Man möchte Aérea Negrot eine große Bühne schenken, auf der sie sich austoben kann, oder wenigstens den neben ihr aufgestellten Raumtrenner aus dem Weg räumen. Das Publikum schwankt zwischen Gefallenfinden, Staunen und Irritation angesichts dieser höchst eigenwilligen Darbietung. Umgewöhnung von der geradlinigen Clubmusik ist nötig, noch mehr aber für diejenigen, die aus der Lounge gekommen sind, wo eben noch Marianne Rosenberg lief.

Doch da ist Aérea Negrot auch schon wieder weg. Nach nur 25 Minuten Show verschwindet sie in das nebulöse Dunkel, aus dem sie gekommen ist. Chantal nimmt wieder ihren Platz auf der Bühne ein. Wem der Jubel nun gilt, ist nicht ganz klar. Für eine kleine Zugabe kommt Aérea Negrot noch einmal zurück. Dann ist es wieder ganz Chantals Party.