Zum Scheitern verurteilt

ANALYSE Der neue Bankenprotest ist unpolitisch und ziellos. Außerdem ist er beeinflusst von einer obskuren Vereinigung, die Verschwörungstheorien verbreitet und ihre Wurzeln in den USA hat

VON FELIX DACHSEL

Eine junge Frau tritt ans Mikrofon. Sie ist eine der letzten, die in Frankfurt vor dem Gebäude der Europäischen Zentralbank spricht. Jeder darf etwas sagen an diesem Tag, das ist das Konzept der Occupy-Bewegung. Vor der jungen Frau trat eine alte Dame ans Mikrofon und hatte Aufklärung gefordert – sie wollte wissen, warum Horst Köhler damals als Bundespräsident hingeschmissen hat und wo eigentlich Paul Kirchhof steckt, der Professor aus Heidelberg.

In den Stunden zuvor ging es gegen Studiengebühren, für Tauschhandel, gegen Zinsen, für die Rettung Griechenlands, gegen die Rettung Griechenlands, gegen das System, gegen Geld als Phänomen, für Sozialismus, für mehr Demokratie, für weniger Demokratie, für die Räterepublik, für Kommunismus, Konformismus, Liebe. Die junge Frau sucht einen Kompromiss, einen gemeinsamen Nenner. Und sie findet ihn: „Sind wir nicht alle der Meinung, dass wir Veränderung wollen?“

1. Der gemeinsame Nenner darf nicht der kleinste sein

Proteste brauchen eine Forderung, um erfolgreich sein zu können. So war es beim Antiatomkraftprotest. So war es auch beim Protest gegen Stuttgart 21. Mal ging es um den Ausstieg aus der Atomkraft, mal um die Rettung des Kopfbahnhofs.

Natürlich gab es in beiden Fällen auch Sektierer und ein großes Maß an Vielstimmigkeit. Es gab jedoch auch einen kleinsten gemeinsamen Nenner, und dieser war nicht völlig inhaltsleer. Wer dagegen nur „Veränderung“ fordert, fordert nichts. Für Veränderung sind schließlich alle. Diese politische Unentschiedenheit des Occupy-Protests ist keine Stärke, sondern eine seiner eklatanten Schwächen.

2. Es geht nur mit der Politik

Soziale Bewegungen sind Transporter mit programmiertem Ziel: Sie bringen ein Anliegen vom Rand in die gesellschaftliche Mitte, von der machtlosen Peripherie ins Zentrum der Entscheidungsfindung. Oft dauert das Jahrzehnte, wie beim Protest gegen Atomenergie. Die Anliegen der Bankenproteste könnten eine Abkürzung nehmen, so populär wie sie sind. Gleichsam vom eiskalten Zeltboden in die Programme der Parteien.

Doch in den Protestcamps sind Parteifahnen ausdrücklich unerwünscht. Redner, die sich zu einer Partei bekannten, werden ausgepfiffen. Aber warum laden die Zeltaktivisten keine Entscheidungsträger ein? Um sie zu konfrontieren, zu drängen, sie zur Rede zu stellen? Fehlen die Fragen? Oder der Mut?

Eine Bewegung, die nicht dorthin strebt, wo sie etwas ausrichten kann, ist bewegungslos. Sie bleibt eine ewige Kundgebung. Occupy will in Ruhe zelten. Die Politik soll draußen bleiben. Aber so funktioniert das nicht.

3. Es geht nur ohne obskure Sekten

Was ist eigentlich die Zeitgeist-Bewegung? „Das Hauptziel der Zeitgeist-Bewegung ist das nachhaltige Überleben des Menschen“, so steht es auf der Internetseite. „Die Methode, um dieses Ziel zu erreichen, ist die Wissenschaftliche Methode. Daraus folgt, dass alle Politik überflüssig wird, da es nicht um Meinungen geht, sondern um die Anwendung der Wissenschaft auf menschliche Belange.“ Genauso, wie man bei den Naturwissenschaften objektiv richtige Aussagen treffen kann, soll es auch bei gesellschaftlichen Fragen sein.

Die Vision der aus den USA stammenden Organisation ist, dass eines Tages Maschinen alle Arbeiten übernehmen. Der Zeitgeist-Guru nennt sich Peter Joseph und verbreitet Verschwörungstheorien, etwa über die Anschläge vom 11. September 2001. Ein Schuss Esoterik rundet die obskure Mischung ab.

Laut den Aussagen einer der Organisatoren von Occupy Frankfurt sitzen rund 25 Anhänger der Zeitgeist-Bewegung in den Zelten vor der Europäischen Zentralbank. Unter ihnen ist auch der Homepagebetreiber von Zeitgeist Frankfurt, Alex Barker. Auch Occupy-Sprecher Wolfram Siener, der inzwischen regelmäßig in Talkshows eingeladen wird, bekennt seine Nähe zu Zeitgeist.

Nicht nur in Deutschland gibt es diesen Zusammenhang. Auf der Internetseite von Zeitgeist Schweiz schreibt ein Nutzer über eine bevorstehende Occupy-Demonstration: „Das ist eine tolle Möglichkeit, die Vision des Zeitgeist-Movements unter die Leute zu bringen!“ In Salzburg wurde die Occupy-Demonstration von Thomas Stadlauer organisiert, Inhaber der Domain zeitgeist-movement.at. Und der Sprecher von Occupy Vancouver, Matt Berkowitz, trug ein T-Shirt mit Zeitgeist-Logo, als er in den kanadischen Nachrichten auftrat.

Die Protestcamper sollten aufpassen, dass sie nicht von einer obskuren sektenartigen Bewegung gekidnappt werden – wenn das nicht sogar schon passiert ist.