Die gentrifizierte Bratwurst

KULINARIK Beim „Wurst und Bier“-Thementag in der Markthalle 9 treffen sich Biergourmets, Blutwurstliebhaber und Authentizitätsfetischisten zum Verkosten. Bizarre Bierlyrik gibt’s gratis dazu

Die Markthalle 9 in Kreuzberg, bekannt für ihre kulinarischen Thementage, hat sich diesmal zwei Grundnahrungsmitteln der Deutschen gewidmet: Wurst und Bier. Eine schnörkellose Sache, sollte man meinen. Doch schon beim Betreten der Halle wird klar, dass hier mit Gründlichkeit an die Materie herangegangen wird: Erst einmal werden zwei Euro Gentrifizierungsentgelt fällig (Ausnahme: „Kinder und Jugendliche“). Dann geht’s weiter zur Kasse, wo einem Schilder den „Weg zum Bier“ erklären. Hier kann man Jetons für den Biergenuss erwerben und bekommt ein Glas. Drinnen stehen gestandene Bier-Gourmets und junge, bärtige Pale-Ale-Fanatiker um die Zapfhähne von Brauereien die „Flying Turtle heißen“ oder „Brewcifer“. Ganze Familien stillen ihren Hunger mit Kräuterbratwurst vom Deichlamm. Die Distinktionshölle der bewusst konsumierenden Mittelschicht hat jetzt also auch die letzten Bastionen der Esskultur erreicht.

Schmecken tut das alles hervorragend: Schlachterkunst aus Brandenburg, luftgetrocknete Fenchelsalami aus dem Haute Savoie – das Niveau an den vielen Ständen ist hoch, der Preis nicht immer. Für 2 Euro bekommt man bei „Vom Einfachen des Gute“ eine handgeschmierte Leberwurststulle. Die „Black Pudding-Croquette mit Senfespuma“ in der Kantine kostet 5 Euro – vermutlich allein drei davon für den Namen des Gerichts. Weil man weder Wurst noch Bier ganz neu erfinden kann, dreht sich hier viel um die zielgruppengerechte Verpackung. Dazu gehören neben dem lückenlosen Fairness-Nachweis fürs Fleisch auch abgefahrene Namen: Der bayerische Mikrobrauer, der sich „Hanscraft“ nennt, zapft seinen „Backbone Splitter“ aus einem Zapfhahn, der wie eine Wirbelsäule geformt ist. Die „Kreativbrauerei Kehrwieder“ aus Hamburg preist lustvoll die Ingredienzien ihres „Prototyp“-Pale-Ale: Böhmisches Tennenmalz und Perle-Hopfen, gestopft mit Saazer und Simcoe entfalten unter Zusatz von Lagerhefe Aromen von Maracuja und Litschi. Das Zeug ist eine Wucht, aber wer braucht diese Bierpoesie?

Es gibt aber auch noch solidere Stimmen in Kreuzberg. Auf dem Lederjackenrücken einer Frau prangt ein Aufkleber: „Leberwurstsauce … ihr Ficker!“NINA APIN