Überraschungsexperten

SKI-WM Nach einer Schwächephase glänzen die Schweizer wieder beim Abfahrtsrennen. Außenseiter Patrick Küng gewinnt gar Gold

„Es ist nicht immer ganz einfach, in der Schweiz Ski zu fahren“

ABFAHRTSWELTMEISTER PATRICK KÜNG

AUS VAIL/BEAVER CREEK ELISABETH SCHLAMMERL

Am Ende gab es für Patrick Küng kein Halten mehr. Er schnappte sich die Champagnerflasche, und als er sie entkorkte, waren allen klar, was gleich passieren würde. Wer sich vom Trainer- und Betreuerteam nicht schnell genug in Sicherheit brachte, wurde nass gemacht. „Sie haben das, glaube ich, verdient“, sagte Küng. Schweizer sind nicht unbedingt bekannt dafür, aus lauter Begeisterung größeren Unfug anzustellen, aber das Abfahrtsergebnis bei der Ski-WM in Vail/Beaver Creek führte nicht nur zum einen oder anderen Juchzer. Im Schweizer Haus wurde am Samstagabend derart laut gefeiert, dass man es vermutlich auch in der rund 200 Meter entfernten Österreich-Dependance noch vernahm.

Gold für Patrick Küng und Bronze für Beat Feuz, dazwischen hat sich der Amerikaner Travis Ganong gedrängt. Und was für einen Eidgenossen nicht ganz unwichtig ist: Der schlechteste Schweizer, Didier Defago, war als Elfter immer noch besser als der schnellste Österreicher, Matthias Mayer (12.). Die in den ersten drei Wettbewerben dieser Titelkämpfe sehr erfolgreiche Skination setzt in der Königsdisziplin ihre medaillenlose Serie fort, seit 2005 hat es kein Österreicher mehr auf das Podium geschafft. Die Schweizer hingegen sind so etwas wie Experten für Überraschungssiege in der Abfahrt: 1993 holte Urs Lehmann in Morioka Gold, 1997 Bruno Kernen in Sestriere, beide gehörten einst ebenso wenig zu den Favoriten wie dieses Mal Küng. „Großanlässe“, sagte er, „sind bei mir bisher immer nach hinten losgegangen.“ Und bis Freitag konnte er nicht einmal sicher sein, nach seinem 16. Platz im Super-G noch eine zweite Chance zu erhalten. Der 31-Jährige aus dem Glarner Land musste sich den Startplatz in der Abfahrt in einer internen Qualifikation erkämpfen. „Für Patrick war der leichte Druck sicher gut“, sagte Cheftrainer Tom Stauffer, bis zum vergangenen Frühjahr noch verantwortlich für die deutschen Frauen. „Wir wollten, dass er im Abfahrtstraining angreift.“

Das Schweizer Männerteam hat eine schwere Zeit hinter sich. Dem famosen Winter 2011/2012 mit zehn Siegen und weiteren 14 Podiumsplatzierungen folgte eine Saison zum Vergessen. Gründe gab es genügend. Der eine Siegfahrer, Didier Cuche, hatte seine Karriere beendete, der andere, Beat Feuz, fiel die gesamte Saison wegen einer bakteriellen Knieinfektion aus.

Am Ende jenes Winters gab es den großen Schnitt in der alpinen Abteilung von Swiss Ski. Es kam mit Rudi Huber ein neuer Sportchef. Der Österreicher brachte seinen Landsmann Walter Hlebayna als Cheftrainer mit, und auch der neue Abfahrtscoach, Walter Hubmann, kam aus dem östlichen Nachbarland. Obwohl es sportlich aufwärts ging, gab es Unstimmigkeiten. Es hieß, es gebe zu viele Österreicher in Schlüsselpositionen, und schon während des Winters begann es zu rumoren. Im Frühjahr musste Hubmann gehen, und Hlebayna zog es aus eigenem Antrieb zurück in die Heimat. Als dann bekannt wurde, dass der Deutsche Skiverband den Vertrag mit Stauffer nicht verlängert, griffen die Schweizer zu.

Der 45 Jahre alte Berner hat nicht nur den berühmten Stallgeruch, er scheint, aufgrund seines ruhigen Naturells, seiner Erfahrung und dem Organisationstalent derzeit genau der richtige Mann zu sein. Bereits im Herbst stellte Beat Feuz fest: „Die Mannschaft ist wieder ein Team, das funktioniert.“

Das gute Betriebsklima schlug sich auch in der Leistung nieder, „nicht unbedingt in der Spitze, aber in der Dichte“, sagte Stauffer und rechnete vor, dass die Schweiz Ende Januar 500 Punkte im Weltcup mehr hatte als in der Saison davor. Allerdings erwartet ein Land, das sich noch immer als Skination versteht, Siege oder zumindest Podestplätze. „Es ist nicht immer ganz einfach, in der Schweiz Ski zu fahren“, sagt Küng. „Es gibt immer großen Druck.“