Warten auf Bloomfield

HOTELZIMMERKUNST Die Schweizer Gruppe Blendwerk gastiert im Hebbel-Theater mit der interaktiven Theaterinstallation „Hotel Savoy“

Der Spiegel, in dem man sich betrachten kann, wird plötzlich durchlässig, und man sieht in ein zweites, genau gleich geschnittenes Zimmer mit einem anderen Gast, dessen Weg man in dieser Nacht noch öfter kreuzen wird, in der Bar und im Zimmer, in dem mit Karten gespielt wird

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Warum zieht es mich immer wieder zu sogenannten Theaterinstallationen? Wo das Theater nicht auf der Bühne für das Publikum vorne stattfindet, sondern in verstreuten Räumen, die man manchmal mit freier Zeiteinteilung, manchmal nach Ansage betritt und zum Teilnehmer eines Geschehens wird, das sich nur selten dramatisch steigert. Ich glaube, mein Interesse an diesem Genre hat nicht zuletzt etwas mit einem infantilen Vergnügen zu tun: Diese Installationen erinnern irgendwie auch an Puppenstuben, in denen das Leben versuchsweise ausprobiert wird und man zugleich unter dem Schutz des Spiels steht. Und weil oft nicht so genau zu erkennen ist, wer von den hin und her wandernde Figuren Besucher und wer Artist ist, bleibt die Imagination dabei oft zitternd auf jener Schwelle stehen, die zwischen der eigenen Befindlichkeit und dem Raum besteht, in dem sich ein Theaterstück ereignen würde. Obwohl man die Szene leibhaftig durchwandelt, besetzen Figuren und dramatische Erzählung einen doch nie in dem Maße wie in einer Aufführung auf der Bühne. Man blickt durch das Stück hindurch auf sich selbst als gutwilligen Mitspieler, und diese Zweigleisigkeit ist manchmal sehr reizvoll.

Wer irgendwo auf der Welt solche theatralen Installationen baut, kommt früher oder später am HAU in Berlin vorbei. Am Wochenende war es wieder so weit, die Schweizer Gruppe Blendwerk lud ins „Hotel Savoy“, konzipiert von dem Bühnenbildner Dominic Huber. Die Zimmer des Hotels sind klein und meist nur über steile Treppen, fast Leitern zu erreichen. Das Gerüst, in dem sie sich übereinander stapeln, ist auf der Hinterbühne des Hebbel-Theaters aufgebaut. Einzeln wird man eingelassen, um sich bald allein auf einem Bett wiederzufinden, das irgendwie zu beben scheint. Der Spiegel, in dem man sich betrachten kann, wird plötzlich durchlässig, und man sieht in ein zweites, genau gleich geschnittenes Zimmer mit einem anderen Gast, dessen Weg man in dieser Nacht noch öfters kreuzen wird, in der Bar und im Zimmer, in dem mit Karten gespielt wird, auf den Treppen oder den engen Fluren. Dass man dabei öfter glaubt, im Kreis zu laufen, liegt auch daran, dass jedes Zimmer die Nummer 703 trägt.

In was für einer Geschichte man sich befindet, weiß man eigentlich nicht. Man erhält Anrufe auf alten Telefonen, per Skype oder Anweisungen aus kleinen Radios, und diese Stimmen wissen erstaunlicherweise etwas über einen. Irgendwas soll man suchen, Zahlen spielen eine Rolle, tatsächlich erhält man einen Zettel mit Lotteriezahlen zugesteckt, die ein langhaariger Herr in einem Zimmer mit schiefem Fußboden geträumt haben will. Ein Mann wird gesucht oder erwartet, „Bloomfield“, den Namen liest man auch auf einer Tür, vor der Bodyguards stehen. Vielmehr passiert eigentlich nicht. Und so dreht man eine zweite Runde, trinkt Wodka in der Bar, vertreibt sich die Zeit mit Spielen, und ist Gast bei anderen Gästen, von deren Sprache man merkwürdigerweise nur das Wort Hongkong versteht.

Manchmal denkt man, jetzt könnte aber etwas mehr passieren. Und wirft dabei zufällig, vielleicht über den Rand der Spielkarten hinweg, einen Blick auf den kleinen Fernseher und sieht darin wieder so ein kleines Hotelzimmer, in dem der kleine Fernseher gerade brennt. Oder leblose Körper von der Matratze gezogen werden. Oder das Bett nicht nur bebt, sondern kippt. Ist vielleicht doch ganz gut, nicht alle Szenen live zu erleben.

So ungefähr. Es gibt einen Roman von Joseph Roth, „Hotel Savoy“, dem die Installation den Namen entliehen hat, auch da träumt ein Gast Lotteriezahlen, auch da warten alle auf Bloomfield. Aber das Leiden am Warten, an der Unbestimmtheit des eigenen Lebens und der nicht definierten Gegenwart wird in dem Roman trotzdem zu einem präzisen Bild der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Im „Hotel Savoy“ im Hebbel-Theater stellt sich weder so ein zeitlicher Horizont ein, noch das Unheimliche eines haunted house.

Das war anders, so kann man in Kritiken und auf der Website von Blendwerk nachlesen, als das „Hotel Savoy“ entstand, vor einem Jahr in New York, in dem 27-Zimmer-Townhouse, in dem sonst das Goethe-Institut seinen Sitz hat. Schon die Geschichte des alten Gebäudes, in dem tatsächlich viele Emigranten eine Rolle gespielt hatten, schuf der Installation einen anderen Echoraum. Am Ende war der Leiter des Goethe-Instituts, Stephan Wackwitz, stolz, dass die Karten für „Hotel Savoy“ schon auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurden.

Auf einen Ort zugeschnittene Theaterprojekte sind eben schwer zu transportieren. In Berlin scheint das „Hotel Savoy“ zwar wieder eine aufwendige Angelegenheit, zumal vom technischen Aufbau her. Aber die Wege über Leitern und durch schwarze Fliesenwände ersetzen nicht die Aura einer echten Architektur. So freut man sich zwar an pittoresken Details wie an einer Stange, die ähnlich wie bei der Feuerwehr durch mehrere Stockwerke führt und in einem Bett in der Bar endet. Aber mehr als anekdotischen Witz transportiert das ganze Ensemble dann leider doch nicht.

■ „Hotel Savoy“, HAU, geöffnet am 24. und 26.–30. Oktober, wochentags 18–22 Uhr, Samstag und Sonntag 16–22 Uhr, Start im 15-Minuten-Takt