„Schreckliche Kriegsrealität“

LESUNG Im Altonaer Museum werden Feldpostbriefe aus dem I. Weltkrieg vorgetragen und eingeordnet

■ 74, war Professorin für Neuere Geschichte an der Uni Hamburg und hat sich für die Frauenförderung engagiert.

taz: Frau Vogel, was hat Sie an den Feldpostbriefen von Hans Dennert aus dem Ersten Weltkrieg am meisten berührt?

Barbara Vogel: Hans Dennert war ein sehr junger Mann: 20 Jahre alt, als er in den Krieg ging, und noch nicht ganz 23 Jahre alt, als er starb. Die Briefe sind ein persönliches, privates Zeugnis, machen dadurch die absurde Kriegssituation umso deutlicher.

Wem hat er geschrieben?

Seine Briefe richten sich an seine Eltern und – in deutlich anderem Ton gehalten – an eine junge Frau aus der Nachbarschaft. Sie, Adele, hatte dem gerade Richtung Osten eingezogenen Soldaten Pulswärmer gestrickt, vermutlich, wie es Mädchen und Frauen damals ans Herz gelegt wurde. Aus dem Briefwechsel mit dem anfangs 15-jährigen Mädchen entstand im Laufe der nächsten Jahre eine wachsende Offenheit und Vertrautheit.

Wie drückte sich diese aus?

Hans berichtete Adele offener von der schrecklichen Kriegsrealität als seinen Eltern, zumal er – wegen der ihn bedrückenden Sorgen seiner Mutter – nach Hause geschönte Berichte sandte. Während Hans’ Briefe in der ersten Zeit, im Osten, um einen lockeren Ton bemüht waren, mischen sich in seinen Briefen aus den letzten Monaten seines Lebens, in Frankreich, das Grauen vor dem schrecklichen Geschehen und die Hoffnung, dass es doch noch ein Leben im Frieden für ihn geben könnte.

Hat sich Dennert zu seinen konkreten Erlebnissen an der Front geäußert?

Ja, aber meistens durch die Ausdrucksweise gemildert oder nur angedeutet. Wenn er seine Ängste aussprach, versuchte er sie abzuschwächen mit Wendungen wie „entschuldige den Ausbruch eines alten Kriegers“ oder „mein Verstand ist wohl schon eingerostet“. Ihren bewegenden Eindruck entfalten sie erst, wenn sie vor dem Hintergrund des Gemetzels gelesen und gehört werden.  INTERVIEW: KNÖ

„… wenn alles vorbei ist, werde ich weiterschreiben.“ Der Erste Weltkrieg in Feldpostbriefen eines Altonaers, Vortrag und Lesung mit Barbara Vogel und dem Schauspieler Rolf Becker: 19 Uhr, Altonaer Museum, Eintritt frei