Der Landarzt macht sich rar

Demografischer Wandel und fehlende Nachfolge: Auf dem Land werden die Hausärzte knapp. Eine Tagung in Kiel suchte nach Auswegen. Einer heißt: Mehr Verantwortung für die Arzthelferinnen

VON ESTHER GEISSLINGER

Sie war eine Heldin des DDR-Fernsehens: Auf ihrem Moped knatterte Gemeindeschwester Agnes durch die Dörfer, wechselte Verbände und kurierte nebenbei Seelennöte. Nun kehrt Agnes zurück – und soll auch im Westen den Landärzten unter die Arme greifen. Dem Modellprojekt „AGnES“, das zurzeit in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen läuft, widmete sich jetzt – neben anderem – eine Tagung in Kiel: Fachleute der Krankenkassen, Ärzteschaft und Politik diskutierten da, wie der drohenden Unterversorgung angesichts des demografischen Wandels begegnet werden kann.

Laut Zahlen der Bundesärztekammern und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nämlich werden in den kommenden fünf Jahren bundesweit 41.000 Mediziner in den Ruhestand gehen – und es rücken zu wenig junge Kräfte nach. Gerade im ländlichen Raum entstehen dann Lücken, sind teilweise heute schon da: So fehlen etwa in Niedersachsen 186 Hausärzte. In Schleswig-Holstein sieht es besser aus: Nur im Kreis Steinburg sind Praxen unbesetzt. Wie viele genau, darüber streiten die Fachleute: Statistisch fehlen nur drei, aber zehn Ärzte suchen aktuell Nachfolger. Bernhard Ziegler, Leiter des Krankenhauses Itzehoe wies in Kiel darauf hin, dass die Mediziner im Land ungleichmäßig verteilt sind: In den Städten finden sich mehr als auf dem platten Land.

Bis 2020 werden rund 2.000 Ärzte im Land fehlen, sagte Ekkehard Becker von der Kassenärztlichen Vereinigung in Schleswig-Holstein – eine grobe Schätzung. Unter anderem, weil niedergelassene Ärzte neuerdings Kolleginnen oder Kollegen anstellen dürfen – und die werden stärker auf ihre Arbeitsstunden schauen als der freiberufliche Praxischef. Renée Buck vom Kieler Gesundheitsministerium warnte vor Panikmache: Zurzeit arbeiteten 14.000 Ärzte in Schleswig-Holstein, davon 5.200 in Krankenhäusern und je 4.400 in eigenen Praxen und in anderen Bereichen. Die Zahl der Hausärzte sei in den vergangenen zehn Jahren bei gleicher Bevölkerungszahl um 300 gestiegen. „Es gibt Probleme, aber Katastrophenszenarien sind unseriös“, sagte Buck. Sie nannte Bereiche, in denen das Land aktiv ist, beispielsweise durch die Förderung neuer Technik. So können Fachärzte in Krankenhäusern per Telekonferenz Daten austauschen.

Die Techniker Krankenkasse (TK), die zu der Tagung eingeladen hatte, nannte drei Wege, um einer Unterversorgung entgegenzuwirken: Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte sollten besser zusammenarbeiten, Praxen mehr auf Telemedizin setzen und Schwestern oder Arzthelferinnen eingebunden werden: Letztere seien „eine ungenutzte Ressource“, sagte TK-Leiter Johann Brunkhorst.

Wie das aussehen könnte, zeigt das „AGnES“-Modell, das Professor Wolfgang Hoffmann von der Universität Greifswald vorstellte: Es sei „der verlängerte Arm des Arztes“. Die Helferin übernimmt Hausbesuche, wechselt Verbände, setzt Spritzen – 287 verschiedene Tätigkeiten darf die medizinische Fachkraft bereits heute ausüben, weitere könnten dank einer Zusatzausbildung hinzukommen. In den Regionen, wo „Agnes“ eingesetzt wird, gebe es nur positive Reaktionen: Ärztinnen und Ärzte fühlen sich entlastet, die Helferinnen sind froh, ihre Fähigkeiten besser einsetzen zu dürfen. Und für die Patienten macht es offenbar keinen Unterschied, ob statt des Onkel Doktors seine Mitarbeiterin am Bett steht.

Reichen diese Maßnahmen? „Wir leben heute in der guten, alten Zeit von morgen“, sagte Krankenhauschef Ziegler. „Wir müssen uns darüber klar sein: Gesundheit kostet Geld.“ Und zwingen lasse sich kein Mediziner, auf dem Land eine Praxis zu eröffnen.

Ziegler schnitt ein weiteres Thema an: „Wenn es einen Quantensprung in der Medizin gibt mit neuen Therapien, die wir niemanden verweigern wollen – dann haben wir ein richtiges Problem.“