MANCHMAL IST MEHR ALS DIE HÄLFTE DER LEINWAND SCHWARZ. IST DAS DAS SCHWARZ VON 1958?
: Altwerden hat auch seine Schönheit

Draußen im Kino

VON DETLEF KUHLBRODT

Es ist Morgens. Die Berlinale geht ihrer Wege. Und ich gehe in den französischen Wettbewerbsfilm „Journal d’une femme de chambre“ von Benoît Jacquot, weil ich lange nicht mehr in Frankreich war und Lust habe, einen Film in gepflegtem Französisch zu sehen. Es handelt sich um einen gut ausgestatteten Film, der kurz nach der Dreyfus-Affäre spielt.

Komisch, dass sich viele Zuschauer in die erste Reihe setzten, obgleich auch anderswo noch Platz ist. Der Film passt gut in den Vormittag und bei der Szene, in der die feine Dame des Hauses beim Zoll ein Schmuckkästchen auspacken muss, in der sich ein Dildo befindet, müssen alle lachen.

Ich hatte Buñuels Fassung der Kammerzofe vor Jahren auch einmal auf der Berlinale gesehen. Es war das Jahr, in dem Youdid Kahveci angefangen hatte, an der dffb zu studieren. Wir hatten draußen vor dem Kino über Buñuel gesprochen, den sie, wie die meisten angehenden Filmemacherinnen toll fand. Dass mir Benoît Jacquots hübsche Version des Kammerzofen-Themas nicht so gut gefällt, stört mich nicht weiter.

Gleich bei den Potsdamer Arkaden stehen Aktivistinnen der dffb und halten ein Bettlaken hoch, auf dem steht: „AN ART SCHOOL NEEDS AN ARTIST ON TOP“. Ich frage, ob sie zum Beispiel gerne den ungarischen Regisseur Béla Tarr als Schuldirektor haben würden. Er lehrt ja seit Jahren an der dffb und ist sehr beliebt dort. Sie sagen „ja, oder Fred Kelemen“.

Dann muss ich schnell in’s Delphi, um „Enjo“ von Kon Ichikawa zu gucken. In diesem Jahr wäre der japanische Regisseur 100 Jahre alt geworden. Er drehte über 80 Filme; den letzten als 90-Jähriger. Im Forum werden drei gezeigt, die kürzlich restauriert worden.

Der wunderschöne Schwarz-Weiss-Film „Enjo“, eine Verfilmung des Romans „The Temple of the Golden Pavilon“ von Yukio Mishima, handelt von dem jungen Goichi Mizoguchi, der 1944 nach dem Tod seines Vaters als Novize in den berühmten Tempel Shukaku in Kyoto kommt. Er ist introvertiert, stottert und wird von den anderen gehänselt. Sein einziger Freund ist gerade gestorben.

Der Tempel ist für ihn der Inbegriff ewiger Reinheit und Schönheit. Mizoguchi befreundet sich also mit einem lahmen, zynischen Klosterschüler und entdeckt peu à peu die Doppelmoral im Kloster. Der sympathische Abt, der ihn eigentlich gerne zu seinem Nachfolger machen würde, hat eine Geliebte, die Mönche sind gierig nach den Eintrittsgeld der Touristen, die scharenweise kommen. Mizoguchi verzweifelt und zündet das Kloster an, und man ist als Zuschauer auch ganz unglücklich, weil der Abt so sympathisch ist. Und es traurig ist, wenn jemand alles kaputt macht.

Der in Daiei Scope gedrehte Film ist großartig und oft humorvoll. Man kann sich in den den meist statischen Einstellungen ausruhen. Manchmal ist mehr als die Hälfte der Leinwand schwarz. Und man fragt sich, ob es so schwarz ist, wie es 1958 war oder schwärzer.

Filmrestaurierungen sind notwendig, um das Filmerbe zu erhalten. Gleichzeitig frieren sie den Film, der einmal lebendig war und sich mit jeder Aufführung ein wenig veränderte, ein. Es ist dann seltsam, alte Filme zu sehen, die ohne Gebrauchsspuren sind.Aber das ist vielleicht nur eine theoretische Überlegung. Die Filme von Kon Ichikawa gefielen mir jedenfalls bis jetzt am besten. Auch wenn die anderen Berlinalefilme auch sehr gut sind.