Fehlendes Demokratieverständnis

betr.: „Hessens Grüne bleiben Tornados treu“, taz vom 5. 10. 07

Innerparteilich schlagen die Wellen nach dem Sonderparteitag in Göttingen immer noch hoch. Außerhalb der Partei nachvollziehbar ist das immer weniger. Denn denjenigen in der grünen Bundestagsfraktion, die mit Ja für den Tornado-Einsatz, OEF und Isaf stimmen wollen, ist die Gewissensfreiheit bei der Abstimmung scheinbar wichtiger als eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Antrag, der den Willen der Partei repräsentiert. Sie zaubern Briefe aus dem Hut, in denen afghanische Abgeordnete ihr Entsetzen über die Entscheidung der Grünen äußern, bieten den afghanischen Außenminister auf und machen glauben, dass so inhaltliche Diskussionen geführt werden könnten.

Dabei übersehen sie völlig, dass die Gewissensfreiheit der Abgeordneten keine frei flottierende Beliebigkeit ist. Umfragen haben immer wieder verdeutlicht, dass die Mehrheit der Deutschen die Losung „Deutschland wird am Hindukusch verteidigt“ ablehnen. Den Gipfel der verqueren Haltung bieten nun die hessischen Abgeordneten: Sie versuchen die Entscheidung der Partei zu umgehen, indem sie sich ihnen genehme Voten bei ihren heimischen Ortsverbänden holen, und zweifeln sogar die Beschlussfähigkeit des Sonderparteitages an, da dort dafür gesorgt worden sei, dass nur Gegner der Einsätze in Afghanistan als Delegierte geschickt worden seien. Welche „dunklen Mächte“ mögen da im Spiel gewesen sein?

In meinen Augen ist diese Akrobatik Zeugnis für fehlendes Demokratieverständnis. Warum verweisen sie nicht an die Kanzlerin und die Regierungsparteien, die – ähnlich wie Schröder, der gerne Grundsatzentscheidungen mit der Vertrauensfrage verknüpfte – nicht die Wahl lassen, getrennt abzustimmen? Warum machen sie den afghanischen VolksvertreterInnen nicht deutlich, dass mit dem Beschluss der grünen Partei keineswegs der sofortige Abzug aus Afghanistan beschlossen wurde, sondern ein Maßnahmenpaket, das die demokratischen Kräfte des Landes unterstützt? Sie verkennen völlig, dass das Isaf-Mandat, welches ihnen zur Abstimmung von der großen Koalition vorgelegt werden wird, keinen Strategiewechsel beinhaltet, der von den Grünen so dringend eingefordert wird.

Von politischen Mandatsträgern ist zu erwarten, dass sie nicht nur den Willen ihrer Partei repräsentieren, sondern auch den Willen des Volkes abbilden. Die grünen Abgeordneten aus Hessen treten nun mit einem Kollektivgewissen auf. Ihnen ist dringend zu raten, sich erneut zu vergewissern, ob da noch eine Partei ist, die hinter ihnen steht! BARBARA RICHTER, B ’90/Die Grünen, KV Hagen