Berliner Notizen: Import-Export

Petter Larsson, 39, aus Schweden absolviert zurzeit ein Praktikum im taz.mag. Ein Einblick in seinen Alltag

Es ist kein Zuckerschlecken. Als Freiberufler bin ich es gewohnt, dann aufzustehen, wenn ich aufwache. Normalerweise nicht um sieben Uhr dreißig. Heute kann ich erst nach den ersten zwei Tassen gratis taz-Kaffee behaupten, dass ich auch nur den einfachsten Satz auf Deutsch verstehe, vielleicht hätte ich doch diesen Intensivkurs machen sollen.

Dieses Sprachdefizit und die akute Müdigkeit sind auch der Grund, weshalb ich statt auf der Morgenkonferenz zu den schwedischen Internet-News an meinem Schreibtisch im vierten Stock aufwache. Ein Schreibtisch, den ich stolz zu meiner Homebase erklärt habe.

Ja, stolz. Ich meine es. Die taz ist vielleicht eine relativ kleine Zeitung im Vergleich zu denen, für die ich in Schweden arbeite. Aber es gibt bei uns nichts Vergleichbares.

Zum ersten Mal fiel die taz mir auf, als Ratzinger zum Papst gewählt wurde. Die deutschen Zeitungen waren voll mit einem angsteinflößenden Mix von Nationalstolz und religiöser Freude. Die Deutschen waren plötzlich Papst und fühlten sich wieder als wer. Die Titelseite der taz war schwarz, es leuchtete uns weiß entgegen: „Oh, mein Gott!“ Es war befreiend, zum Aufatmen. Hier wurde der öffentliche Konsens gebrochen – auf geistreiche, aber nicht konfrontierende Art und Weise.

In Schweden gibt es keine Tageszeitungen wie die taz mehr, wenn es sie denn je gab. Die Zeitungen, die links der Sozialdemokraten standen, haben längst ihr letztes Blatt bedruckt oder vegetieren als kleine Wochenzeitschriften vor sich in. Hinzu kommt, dass die politische Radikalität und der journalistischen Mut in den sozialdemokratischen Zeitungen eher eingeschränkt operiert, um es höflich auszudrücken. Die meisten wurden sowieso innerhalb der letzten zehn bis fünfzehn Jahre von den lokalen Konkurrenten gekauft, so kann man davon ausgehen, dass es in den nächsten Jahren eben keine schwarzen Titelseiten in Schweden geben wird, komme, was wolle.

In meinen ersten Wochen bei der taz arbeitete ich wie am Fließband. Ich habe die schwedische Presse mit Artikeln geflutet, geschäftige Kommentare zur schwedischen Politik in Außenansicht. Kommentare, die ich eigentlich hasse – wenn sie andere schreiben.

Mir ist es sogar gelungen, mich mit einem Artikel in die Kulturseiten der taz einzuschleichen. Es ging um ein altes schwedisch-deutsches Thema: die schwedische Nazisympathisantin Zarah Leander, die nun in einer Oper in Schweden porträtiert wird. Ich habe die Oper nicht gesehen, aber schließlich bin ich Schwede und somit eine Autorität für alles, was nördlich von Hamburg passiert.

Vielleicht lag mein Produktivitätsschub daran, dass meine Tage einfach früher anfangen als in Schweden. Ich sitze an meinem Schreibtisch und beobachte die taz-Leute, die mit ihren Kaffeetassen und allerlei Papieren an mir vorbeilaufen. Ich höre, wie sie telefonieren, aber um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, was die Menschen im vierten Stock eigentlich wirklich machen, woran sie arbeiten. Ich vermute jedoch, dass der Typ, der vor mir sitzt, irgendetwas mit Medien und Wirtschaft zu tun hat, er liest jedenfalls sehr viele verschiedene Zeitungen. Vielleicht aber lag mein Produktivitätsschub daran, dass es befreiend für mich ist, der schwedischen Debatte und den Nachrichten aus der Ferne zu folgen – man kann doch aus sicherer Entfernung noch spitzer schreiben. Jedenfalls habe ich während meiner Zeit in Berlin schon so viel geschrieben, dass mein altes Laptop seinen Geist aufgab und ich mir Ersatz zulegen musste. Nach fünf Wochen bin ich das frühe Aufstehen gewohnt. Manchmal versuche ich, meine Kollegen aus dem taz.mag ins Café zu locken, aber das ist nicht einfach. Sie scheinen einfach nicht zu essen und sind sehr damit beschäftigt, eine Zeitung zu produzieren.

Ich habe festgestellt, dass der Trick erfolgreicher Auslandskorrespondenten ist, die Einheimischen, die man so trifft, knallhart auszunutzen. In meinem Fall heißt das, die Kollegen bis aufs Letzte über alles Mögliche auszuquetschen: Arbeitslosenstatistik oder Trinkgewohnheiten. Fakten, die dann in meinen Artikeln auftauchen und mich zu Hause als richtigen Deutschland-Experten erscheinen lassen.

Es funktioniert. Plötzlich möchten meine Redakteure in Schweden, dass ich über allerlei Dinge schreibe, die irgendwie etwas mit Deutschland zu tun haben: die Berliner U-Bahn (die anscheinend von einem Schweden gebaut wurde), die Berliner Mauer, die geteilte Stadt, das Aufkeimen von radikalen rechten Parteien in Europa, der Abschuss eines schwedischen Flugzeugs durch die Sowjets (alles, was mit dem Zweiten Weltkrieg oder dem Kalten Krieg zu tun hat, gilt übrigens als Deutschland-Thema).

Wenn ich in Schweden als Deutschland-Experte gelten kann, sollte es möglich sein, ein Schweden-Experte in Deutschland zu werden. Zarah war ja schon mal ein Anfang. Ich könnte mein Unternehmen Petter Larsson Import-Export nennen. Das wäre dann ein Zuckerschlecken.