Wenn die Worte kippeln

Martin Heckmanns hat eine unheimliche Komödie über die Angst vor dem Fremden geschrieben. Doch die Inszenierung im Deutschen Theater will zu viel auf einmal

Das Soufflé ist eingefallen, der Wein vergessen, die Gans schon verbrannt, doch es gilt, den Schein eines gemütlichen Abendessens aufrechtzuerhalten. Das ist die Ausgangslage in „Ein Teil der Gans“, dem neuesten Stück von Martin Heckmanns, das die Frage nach der Verteilung der Gans – und damit des Ganzen – mit den Mitteln der Komödie stellt. Am Tag von Sankt Martin, dem Heiligen, der die Hälfte seines Mantels einem Bettler geschenkt hat, erwarten Bettina und Viktor Besuch. Der ist ein „möglicher zukünftiger Arbeitgeber“ Bettinas. Das Abendessen wird zum Bewerbungsgespräch, denn wie so oft in Heckmanns’ Stücken dringt der Arbeitsgedanke auch in die privatesten Lebensbereiche.

Zunächst klingt der boulevardeske Ton ungewohnt für diesen Autor, der mit lyrisch-experimentellen Stücken bekannt wurde und gerne Worte ins Wackeln bringt, als wäre Sprache ein Wippbrett. Doch dann schraubt sich die Komödie zur Katastrophe, wird zum Alptraum über die Angst vor dem Fremden, im doppelten Sinn. Jeder Sprechakt der Figuren wird zum Versuch, ein labiles Gleichgewicht aufrechtzuerhalten.

Als es das erste Mal klingelt, steht vor der Tür nicht der mögliche Arbeitgeber, sondern eine dunkle Gestalt mit schwarzer Kapuze. Der Fremde, „leicht dunkelhäutig“, will nur schnell telefonieren; sein Auto hat eine Panne. Bettina will den ungebetenen Gast auf die kalte Veranda verbannen, Viktor findet das furchtbar peinlich, und Ernst Stötzner spielt ihn so liebenswert wie komisch; ein wenig verwischt hinkt er hinterher, wenn Katharina Schmalenberg als Bettina hysterisch voraushühnert. Der Fremde setzt sich im strömenden Regen auf einen Gartenstuhl, und der rötliche Lamellen-Vorhang schließt sich wieder um das vermeintlich sichere Wohnzimmer (Bühne: Ramallah Aubrecht).

Doch dann brechen die nächsten Gäste herein. Tara (Nora von Waldstätten) blinzelt gruslig sexy ins Publikum, als käme sie direkt aus dem Cyberspace; Henning Vogt spielt Amin mit dem Gestus des blasierten Jungunternehmers. Die beiden machen sich einen Spaß daraus, die Unfähigkeit der Gastgeber zu kommentieren. „Also Bettina, ich finde, jetzt hängt das Gespräch gerade ein bisschen durch.“ Systematisch demütigen sie das Paar, drängen darauf, den Fremden von der Veranda hereinzubitten, denn: „Vielleicht werden Sie hier auf Ihre Gastfreundschaft geprüft. Auf Ihre Offenheit, auf Ihren Umgang mit Fremden.“

Wer hier wen prüft und in welchem Auftrag, bleibt irritierend unklar. Hinter dem Wohnzimmer singt ein Gospelchor fröhliche Martinslieder, immer deutlicher überlagern sich die Ebenen: die Angst vor dem Unbekannten und die reale Migrationsthematik. „Wissen Sie, woher diese Tomaten kommen?“, fragt Amin und klagt die Ausbeutung illegaler Einwanderer in Spanien an. Hier nimmt das Stück eine irrwitzige Wendung: Die Besucher outen sich als Asylbewerber, die ihren Teil der Gans holen wollen: „Wir haben nichts und wir nehmen euch alles.“ Bei Heckmanns ist diese Behauptung nur ein Fake, ein Spiel im Spiel. Philipp Preuss hingegen inszeniert den Bruch merkwürdig agitatorisch, die Besucher reißen die Tapetenstreifen in Fetzen herunter, hinter dem zerstörten Wohnzimmer steht eine Reihe von dunkelhäutigen Martinssängern in bunten Alltagskleidern.

Ein Bild, das auf das Cover einer Weltmusik-CD, aber nicht ans Ende dieser knapp zweistündigen Inszenierung passt. Der gewaltsame Einbruch der Dritten in die satte Erste Welt – dieser plötzliche Umschlag von einer psychologischen in eine politische Erzählhaltung funktioniert nicht. Warum die Regie den Text von Martin Heckmanns, der einen anderen, abstrus-boulevardesken Ausgang nimmt, schon bei der Uraufführung verändert hat, bleibt offen. Gewonnen hat die Inszenierung dadurch jedenfalls nicht. Nach zwei Stunden gut gespielter Komödie ist man zu Betroffenheit nicht mehr bereit. IRENE GRÜTER

Wieder in den Kammerspielen des DT am 15. und 31. Oktober