berliner szenen Trauriger Zorro

Beim „Supertalent“

Es ist zwölf Uhr dreißig, und wir nähern uns dem Schillertheater in der Charlottenburger Bismarckstraße. Eine Menschentraube lungert vor den Stufen herum. Die Türen sind noch geschlossen.

Ich entdecke Zorro zwischen einer Gruppe von Teenagern. „Woher weißt du, dass das Zorro ist?“, fragt mein Freund. Zorro bedeckt seine Augen mit einer Maske, ein Umhang hängt von seinen Schultern. Außerdem trägt er die karierte Stoffhülle einer Ukulele in der rechten Hand und einen Strauß Plastikrosen in der linken. Neben ihm steht ein Rollkoffer. Eindeutig Zorro.

Vier weißhaarige Damen in Leggins und Wollmänteln begrüßen kichernd einen Herrn in Lodenjacke. Ein blonder Mann mit orangem Teint unterhält sich mit einer gelbhaarigen Frau. Sein weißes Leinenhemd ist trotz der herbstlichen Frische bis zum Nabel aufgeknöpft. Er sieht aus wie Dieter Bohlens Bruder. Mein Freund und ich haben Karten gewonnen für die Aufnahme einer Fernsehshow. „Das Supertalent“ heißt die Show, die von Marco Schreyl moderiert werden soll. In der Jury sitzt, unter anderen, Dieter Bohlen.

Ich überlege gerade, ob Zorro wohl einen Degen in der Ukulelentasche hat und ob der Mann mit dem orangen Teint wirklich Dieter Bohlens Bruder ist, als ein Taxi vor dem Theater hält. Ein paar Teenager halten den Atem an. Ein dunkelhaariger Mann mit übergroßer Sonnenbrille und knöchellangem Ledermantel steigt aus. Eine Wasserstoffblondine in kniehohen beigen Stiefeln reicht ihm einen Rollkoffer nach draußen und steigt dann auch aus. Ihre Pfennigabsätze klackern auf dem Trottoir. Wir entscheiden uns dafür, die Show nicht anzuschauen und gehen. Zorro schaut uns traurig hinterher. MAREIKE BARMEYER