Der Künstler als Forscher

KUNSTRAUM An der Spree entsteht mit „Satellite Berlin“ eine Plattform für den Austausch von Kunst und Wissenschaft

Ob Kunst oder Wissenschaft, am Anfang stehe immer die Idee, so die Gründerinnen

VON SABINE WEIER

Beim Traum vom Fliegen kamen sich die Wissenschaften und die Künste früh sehr nah. Griechische Dichter wie Homer oder Ovid ließen Dädalus und Ikarus mit selbst gebauten Flügeln in den Himmel aufsteigen. Leonardo da Vinci schuf nicht nur Gemälde wie die Mona Lisa, sondern konstruierte auch Maschinen und nahm mit seiner „Luftschraube“ Prinzipien des Hubschraubers vorweg. In der Fantasie ging schon lange, was schließlich technisch möglich wurde.

Auch heute forschen Künstler. Manchmal machen sie Wissen greifbarer. Oft spielen dabei die Sinne eine Rolle, immer die Fantasie. Olafur Eliasson etwa lässt sich von physikalischen Phänomenen zu Installationen inspirieren, mit denen er das Sehen von Farben oder die Erdanziehungskraft untersucht. Manchmal findet die Liaison von Kunst und Wissenschaft auch im großen Stil statt. Die Europäische Organisation für Kernforschung (Cern), die in der Schweiz den leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger der Welt betreibt, lädt Künstler regelmäßig zu Forschungsaufenthalten ein.

An der Spree tauschen sich Künstler und Wissenschaftler künftig auf einer eigens dafür ins Leben gerufenen Plattform aus. „Satellite Berlin“ liegt zwischen dem Tipi-Dorf und den noch im Bau befindlichen Luxuslofts, am Wasser, gleich hinter dem Deutschen Architektur Zentrum (DAZ). Auf der gegenüber liegenden Seite erstreckt sich der Holzmarkt, ein Gelände, auf dem neben einem Club noch Gastronomie und Gewerbe angesiedelt werden sollen. Durch die Häusergerippe hallen Baugeräusche. Man kann sich schon vorstellen, dass es hier mal schick wird.

In den gerade fertig gewordenen, auf zwei kleine Etagen verteilten Räumen bringen die Gründerinnen Kit Schulte und Rebeccah Blum Partner aus verschiedenen Feldern zusammen. Denkbar sei Astrophysik genauso wie Philosophie oder Linguistik, sagen sie. Ein Modul des Programms wird sich sprachbasierter Kunst widmen, sie soll in Lesungen, Performances oder Installationen präsentiert werden. In der oberen Etage richten Schulte und Blum ein Archiv mit Zeichnungen ein. Ob Kunst oder Wissenschaft, am Anfang stehe immer die Idee, sagen sie. Und diese manifestiere sich häufig zuerst auf Papier. So wie Leonardo da Vincis Flugschraube.

Kit Schulte betrieb zuvor Galerien in San Francisco und Berlin. Auch die US-Amerikanerin Rebeccah Blum leitete lange Zeit eine Galerie in Berlin. Satellite Berlin ist als ein Hybrid aus Förderverein und kommerzieller Galerie zu verstehen, neben dem Verkauf von Werken sollen Mitgliedschaften und Gelder aus Stiftungen und Kulturfonds die Finanzierung der Projekte sichern. Mit dem Traum vom Fliegen beschäftigt sich nun die erste Ausstellung.

Für ihr Projekt „InAppropriate Behaviors“ führte die Künstlerin Joanne Grüne-Yanoff über ein halbes Jahr lang einen Dialog mit Konstantinos Katsikopoulos. Am Zentrum für Adaptives Verhalten und Kognition des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung befasst er sich etwa damit, wie Menschen Entscheidungen treffen.

Seiner empirischen Forschung stellt Grüne-Yanoff die Fantasie gegenüber: Ausgangspunkt für den in Briefen, Zeichnungen und Collagen dokumentierten Austausch ist die Videoarbeit „Butterfly Spine“: Ein massiger Mann, auf dessen Rücken kleine, an Schmetterlinge erinnernde Flügelpaare angebracht sind, setzt darin in tänzerischen Bewegungen immer wieder zum Fliegen an.

Im März eröffnet die zweite Schau mit Arbeiten des Künstlers Owen Schuh. Wissenschaftspartner ist der Mathematiker Satyan L. Devadoss. Schuh brach einst sein Mathematikstudium ab, um sich der Kunst zu widmen. Dann begann er, Formeln und Diagramme zu visualisieren. Der kreative Prozess funktioniere beidseitig, sagt Blum, im Dialog zwischen Kunst und Mathematik entstünden ebenso künstlerische Arbeiten wie auch neue mathematische Formeln.

Devadoss soll einen Origami-Workshop geben, um den Teilnehmern mithilfe der Papierfaltkunst mathematische Denkprozesse zu vermitteln. Schulte und Blum wollen ein Bildungsprogramm für Erwachsene und Kinder auf die Beine stellen. Für Kurse stehen ihnen auf dem Gelände an der Spree ein Bootshaus, ein Wintergarten und eine Experimentalküche zur Verfügung. Diese Flächen teilen sie sich mit anderen Mietern.

Im Mai zeigt Satellite Berlin dann Landschaften von Michael Wutz, eigentlich ein klassisches Genre, doch Wutz kommt auf Papier zu besonderen Kompositionen, indem er sich von historischen Wissenschaftsillustrationen, Archäologie und Kulturgeschichte inspirieren lässt.

Kunst und Wissenschaft werden sich in diesen Räumen an der Spree sehr nahekommen. Sie wolle die Disziplinen koppeln, um das Wesen des Menschen zu erforschen, schreibt Grüne-Yanoff an den Wissenschaftler und schlägt Fragen an den Mann aus ihrem Video vor, etwa ob er sich anders fühle, wenn er drei Minuten lang einen Vogel oder einen Schmetterling im Flug nachgeahmt habe, und ob dieses Verhalten ihm innere Stärke vermittelt habe. „Lustig,“ antwortet Katsikopoulos, „Sie klingen schon wie eine Verhaltensforscherin.“

■ „InAppropriate Behaviors“: Noch bis 7. März. Wilhelmine-Gemberg-Weg 12, Mi.–Fr. 11–18 Uhr; Sa. 12–16 Uhr u. n. V. | Ein Teil wird auch im Max-Planck-Institut für Bildungsforschung präsentiert