Auf der Oranienstrasse
: Showdown

Er brüllt sehr laut: „Du dreckiges Warzenschwein!“

Ich befinde mich gerade in der Buchhandlung meines Lieblingsbuchhändlers, in dem es manchmal bienenschwarmmäßig zugeht wegen der vielen Touristen, die dort eine Postkarte kaufen, um sich später daran zu erinnern, dass sie eine Postkarte in Kreuzberg gekauft haben. Ich bin also bei Kisch & Co., als draußen auf der Oranienstraße die Feuerwehr erst in die eine Richtung fährt und dann in die andere, dann wieder in die eine und wieder in die andere. Dabei lalüt sie ohrenbetäubend. Sie scheint sich nicht entscheiden zu können, wo es brennt. Fup ist sehr beeindruckt. Er sagt: „Oh!“

Dann tut sich eine andere Lärmquelle auf. Ein Mann mittleren Alters hat sich breitbeinig auf den Bürgersteig gestellt wie ein Comic-Cowboy vor dem Showdown. Er brüllt sehr laut: „Du verficktes Arschloch! Du dreckiges Warzenschwein!“ Es steht ihm niemand gegenüber, aber wie bei einem richtigen Duell hat sich um ihn herum sehr schnell eine menschenleere Zone gebildet. Nur ein Mann befindet sich in seiner Nähe, wenngleich in gebührendem Abstand. Auch er ignoriert den Brüller. Er schließt nur sein Fahrrad auf und fährt davon. Am Schreihals vorbei, der trotz eines offensichtlich ordentlichen Alkoholpegels erstaunlich behende einen Schritt zur Seite macht, nur um sofort wieder seine breitbeinige Shootout-Haltung einzunehmen, kaum ist der Fahrradfahrer an ihm vorbeigefahren.

„Du widerliches Arschgesicht, du Drecksau, dich würd ich ja nich mal mitter Kneifzange anfassen“, brüllt er dem Fahrradfahrer hinterher. Und dann plötzlich, wie in einem Moment der Erleuchtung und nicht mehr so laut: „Oder vielleicht doch?“ Er sieht dem Fahrradfahrer noch kurz hinterher. Den hat er jedenfalls in die Flucht geschlagen. Sieg auf der ganzen Linie. Alle machen einen großen Bogen um ihn. Der Bürgersteig gehört ihm. Dann wankt er weiter.

KLAUS BITTERMANN