Mit belegter Zunge

Die Einstürzenden Neubauten wollen es noch mal versuchen und haben wieder ein Album für den Markt gemacht. Aber es hilft nichts: Sie sind ein sagenhaft unspektakulärer Schatten ihrer selbst

VON ANDREAS HARTMANN

Blixa Bargeld ist etwas ungehalten, ja, er ist regelrecht genervt. Sämtliche seiner Interviewpartner wollen sich mit ihm über seine letzten zweieinhalb Lebensjahre in Peking unterhalten. Oder über die komplizierte Veröffentlichungspraxis der Einstürzenden Neubauten – immerhin brachte die Band seit 2003 ihre Alben unabhängig von irgendwelchen Plattenfirmen in Umlauf. Aber für Blixa Bargeld soll es um das neue Werk seiner Band gehen, die es nach bald 30 Jahren erstaunlicherweise immer noch gibt. Mit dem Titel „Alles wieder offen“ deutet es – nachdem „Ende Neu“ (1996) dies nach dem Weggang der Neubauten-Mitglieder FM Einheit und Mark Chung schon einmal tat, schon wieder eine Art Neuanfang an.

Und ein Neuanfang ist es auch. Das Phase des Subskriptionsmodells ist weitgehend abgeschlossen: Konnten sich in den letzten Jahren die „Supporter“ noch durch Vorauskasse Optionsscheine auf die mit ihrem Geld finanzierten Platten sichern, die nie in den Handel gingen, landet „Alles wieder offen“ jetzt in einer um eine DVD erweiterten Version bei den Subskribenten, aber als schlichte CD auch wieder im schnöden Handel – zurück in die allgemeine Öffentlichkeit. Man muss also nicht mehr vor dem Entstehen der Platte entscheiden, ob man sie haben möchte, sondern danach.

Und danach ist jetzt. Das fertige Album liegt vor einem auf dem Konferenztisch des Neubauten-Büros in Prenzlauer Berg. Um das Album soll es nun gehen und nicht mehr um das Drumrum – bei dem nie so recht klar war, ob die Neubauten damit in den Zeiten der Musikindustrie-Krise ihrer Zeit vorauseilten oder ob sie aus der Not heraus handelten, weil sich die Musikindustrie nicht mehr so recht für die Band interessieren wollte. „Reden wir über das Album, das ist der Grund, warum ich hier bin“, sagt Blixa Bargeld dann mit seiner Blixa-Bargeld-Stimme und einem Tonfall, der deutlich macht, dass man jetzt wirklich lieber über das Album reden sollte.

Eine der stilprägendsten und einflussreichsten Bands Deutschlands überhaupt will sich also noch mal Kritik und Markt stellen. Obwohl sie in den letzten Jahren außerhalb eines verschworenen Fankreises nur noch als Schatten ihrer selbst wahrgenommen wurde, als ziellose Altherrentruppe, die nicht mal mehr versucht, der ehemaligen Radikalität nachzueifern, und sich eher in bildungsbürgerlicher Anzugträgermentalität gefiel. Und obwohl sie sich sogar dem Spott von jemandem wie Joachim Lottmann stellen musste, der über ihr Konzert im Palast der Republik kurz vor dessen Abbruch letztes Jahr schreiben durfte: „Die Toten Hosen sozusagen brettern mit ihrer Bier-Musik durch den Palast der Republik.“

Jetzt also erklärt Blixa Bargeld: „Bevor wir unsere Karriere beenden, wollen wir es noch einmal versuchen. Wir wollen nicht als hermetischer Geheimtipp enden – als verschwörerische Gemeinschaft ähneln wir ja langsam schon Grateful Dead.“ Die letzte offiziell im Handel erhältliche Platte der Band, „Perpetuum Mobile“, verkaufte sich vor drei Jahren alles andere als gut. „Die Resonanz war schlecht“, sagt Bargeld, „und es gab einfach zu wenig Feedback.“ Deswegen vor allem will Bargeld nur über die neue Platte reden, wegen der Resonanz und dem Feedback soll alles besser werden.

Messen wir also die Neubauten an dem, was sie aktuell sind, nämlich eine Truppe, bei der auf der Bühne sicher nichts mehr kaputt geht und Blixa Bargeld mit seinen Theaterbühnenphrasierungen bedeutungsschwer Songtexte vorträgt, zu der ziemlich schepperfreie Rockmusik erklingt. „Alles wieder offen“ ist erneut eine sagenhaft unspektakuläre Platte geworden, über die man lieber nicht zu viele Worte verlieren möchte. Die Stücke tun nicht weh, über die Texte lässt sich getrost Gedanken machen (aus „Von wegen“: „Ich lebe von der Belegschaft meiner Zunge/Von den Expektorationen meiner mutmaßlichen Seele“), und die erste Singleauskopplung („Weil Weil Weil“) kann man auch im Radio spielen, ohne dass dabei dem Hörer vor Schreck die Kaffeetasse aus der Hand fällt. Dieses Werk wird die Neubauten nicht aus ihrem andauernden Siechtum erlösen, sie werden eine verschwörerische Gemeinschaft bleiben, oder eher noch: ein inzwischen ziemlich lahmer Haufen. Und sogar der Nimbus, eben diese einzigartig verstörenden Einstürzenden Neubauten gewesen zu sein, die früher Musik mit Presslufthämmern und Betonmischern gemacht haben, scheint langsam einfach aufgebraucht zu sein.

Einstürzende Neubauten: „Alles wieder offen“ (Potomak/Indigo)