LESERINNENBRIEFE
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Wo ist die säkulare Bewegung?

■ betr.: „Ihr könnt wieder vier Frauen heiraten“, taz vom 25. 10. 11

Religion ist man-made. „Gesetze, die nicht mit dem Koran im Einklang stehen, wird es bei uns nicht geben.“ Für diese Ankündigung einer zukünftigen Politik sind also (laut taz) 40.000 Menschen gefallen und 150.000 verwundet worden? Angesichts dieses Ergebnisses verstehe ich die ganze Euphorie nicht, die von vielen westlichen Medien angesichts der Erhebung des libyschen Volkes vermittelt wurde. Man kann natürlich keine Umsturzbewegung zwingen, sich unseren Vorstellungen eines erstrebenswerten Staates anzupassen, aber muss man diese Bewegung unterstützen?

Die Skepsis der Bundesregierung und ihr mit Sicherheit opportunistisches Nein zur Beteiligung am Nato-Einsatz wurden mit viel Häme und dem Verweis auf die leidende libysche Bevölkerung als bloßes politisches Versagen abgetan. Wenn ich heute diesen taz-Artikel lese und darüber das Foto sehe, auf dem einem Kind die AK-47 gereicht wird, dann kann ich nur sagen: Was für ein Glück, dass diese Veranstaltung kein deutscher Politiker beklatschen muss.

Religion ist Religion, und Gesetz ist Gesetz. Und das Gesetz sollte für die gemacht sein, über die es bestimmt. Das versucht zumindest die Demokratie. Wo sind die Reformer im „arabischen Frühling“? Wo ist die säkulare Bewegung? Folgt jetzt nach dem „arabischen Frühling“ ein heißer „arabischer Sommer“? Und warum wird hier so kritiklos berichtet? CHRISTIAN THAPPERT, Kronshagen

Das ist schade

■ betr.: „Tunesien. Das Volk hat es so gewollt?“ u. a., taz vom 26. 10. 11

Über die Wahl in Tunesien, den Sieg der Islamisten und die Einführung der Scharia in Libyen kann man nur sehr besorgt sein. Leider scheinen auch viele junge Menschen die gerade erworbene Freiheit gegen eine neue Diktatur eintauschen zu wollen und auch nur allzu gern die Frauen von der Straße wieder kopftuchbedeckt zurück in die Küche schicken zu wollen. Das ist schade und zeigt, dass es nicht reicht, nur die alten Diktatoren auszutauschen, es muss auch eine Reform des Islam geben beziehungsweise die Verinnerlichung im Volk, dass die Religion und der Staat strikt getrennt werden sollten, damit Minderheiten wie die Christen in Tunesien und Ägypten oder selbstbestimmte Frauen nicht die nächsten Opfer einer Staatsmacht werden. MARKUS MEISTER, Berlin

Kein Interesse an Aufklärung

■ betr.: „Missbrauch. Eher bittere Bilanz“, taz vom 26. 10. 11

Aufgrund langjähriger eigener bitterer Erfahrungen mit dem Thema Missbrauch wundert es mich nicht im Geringsten, dass nun kein Interesse mehr daran besteht und der Mantel des Schweigens wieder darüber gedeckt werden soll. Es hat mich eher verwundert, dass das Thema so lange präsent sein durfte.

Ein großer Dank an Frau Bergmann, die viel bewegt hat. Das schätze und würdige ich sehr und hat mir persönlich sehr geholfen.. Doch zu viele der Täter sitzen in den Reihen der Mächtigen, Richter und Minister (auch mein Vater war leitender Beamter), und die haben natürlich überhaupt kein Interesse daran, dass zu viel Aufklärung erfolgt. Bei Missbrauch geht es um Macht, und keiner der Mächtigen wird sich diese so leicht nehmen lassen. UTE ZIMMERMANN, Rossdorf

Renaissance der Atomenergie

■ betr.: „Energie. Spiel mit dem atomaren Feuer soll weitergehen“, taz vom 24. 10. 11

Das Spiel mit dem atomaren Feuer geht bereits die ganze Zeit weiter. Zwar wurde die erste Generation AKWs in Deutschland abgeschaltet, die zweite wird es bis 2022 als eine Folge von Fukushima. Während in Frankreich und in Finnland die dritte Generation gebaut wird, laufen Forschung und Entwicklung der vierten Generation weiter – auch in Deutschland.

Seit sechs Wochen findet in Karlsruhe auf Anregung der neuen Landesregierung Baden-Württemberg ein Mediationsverfahren zur Genehmigung eines Neubaus des Europäischen Instituts für Transurane (ITU) statt. Getarnt wird dies mit dem Titel „Sicherheitsforschung“. Es handelt sich aber bei der vierten Generation um Transmutation, um einen neuen Typ schneller Brüter, und hinter der Bezeichnung „Partitioning“ verbirgt sich die Wiederaufarbeitungstechnologie.

Oettinger folgt mit dem Entwurf seines „Energiefahrplans 2050“ lediglich weiter dem Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Generation IV“ und der daran beteiligten Euratom. Das Mediationsverfahren in Karlsruhe hat bislang gezeigt, dass mit der Stilllegung der Atomkraftwerke die nukleare Community und vor allem die Forschung über Atomreaktoren (damit ist nicht die Grundlagenforschung im Bereich der Actiniden gemeint, die das ITU auch durchführt) noch lange nicht beseitigt ist, sondern an der Renaissance der Atomenergie im Gegenteil intensiv gearbeitet wird.

GUDRUN VANGERMAIN, Karlsruhe