RADFAHRERS BILANZ
: 34:1 für mich

Nur einmal traf mein Vorderrad auf frisch polierte Chromfelgen

Die Fahrradsaison neigt sich dem Ende zu, die lila-bläulichen Hautverfärbungen, die die Hände nach dem Weg zur Arbeit zeigen, sprechen da eine deutliche Sprache. Jetzt kommt die Zeit, den Fahrradsommer zu bilanzieren. Das Winterhalbjahr kann genutzt werden, um Statistiken zu erstellen über die Scherben, durch die man fuhr, die Achten, die sich die Felgen eingefangen haben, und natürlich dazu, das Verhaltensrepertoire des Feindes Nummer eins im Straßenkampf sorgfältig zu evaluieren: Des gemeinen Zweiachsers. In all seiner Hässlichkeit, all seinen Variationen, all seiner Macht.

Die Bilanz in der Rubrik „Ausweichmanöver“ konnte ich bereits abschließen: Es steht 34:1 zu meinen Gunsten. 34-mal gelang das reflexartige Herumreißen des Lenkers, um Kinderwagen, Hunden (sind quasi auch Zweiachser) und Personenkraftwagen zu umkurven. Nur einmal traf mein Vorderrad auf die frisch polierten Chromfelgen eines blitzenden Touaregs, anstatt sie zu umfahren. Zack, lag ich mit den Hoden auf dem Lenker. Au.

Bisher hatte ich den tobenden und wütenden Stadtverkehr besiegt, nun war ich angezählt. Aber immer weiter! Tage später peste ich durch die Straßen, als wäre ich nie weg gewesen. Dazu hörte ich – wie beruhigend – den Verkehrsfunk: „Auf der A 3 zwischen Kreuz Breitscheid und der Ausfahrt Duisburg-Wedau sechs Kilometer Stau, im weiteren Verlauf stockt es zwischen …“ Wunderbar. Auch hier, auf den Straßen Berlins, staute und stockte es. Nur ich und die anderen Zweiradfahrer schlängelten sich schon den ganzen Sommer durch die Wagenkolonnen hindurch. Minuten später bahnte sich Morrissey den Weg in meine Gehörgänge, während ich abging, besser: abfuhr wie Smiths Katze: „And if a double-decker bus / crashes into us / to die by your side / is such a heavenly way to die?“ Ja, flüsterte ich meinem Gefährt zu: An deiner Seite gehe ich gern zugrunde. JENS UTHOFF