SAT.1 SCHICKT SEINE „PIONIERE“ AUF AUSGETRETENE PFADE, UM EINE EIGENE, EINE BESSERE, EINE NEUE GESELLSCHAFT ZU ERSCHAFFEN
: Die vergessene Show

JÜRN KRUSE

Unser aller Zweitlieblingssender Sat.1 haut wieder einen raus. Sat.1, das ist dieser Sender, den Sie geschaut haben, als da noch „Wochenshow“, „Harald Schmidt Show“, „Asterix“ und ein paar Softpornos liefen, und von dem Sie heute nicht mehr wissen, auf welchem Sendeplatz Sie den gespeichert haben. Ebendieser Nischensender geht ab übernächster Woche mit der besten Idee der Welt an den Start: „Newtopia“, dem „größten TV-Experiment aller Zeiten“. Und es kommt vom weltbesten TV-Show-Erfinder (nach Karlsson vom Dach): John de Mol.

Die Schlaufüchse aus Unterföhring sind einfach die Kreativsten. Ein Format, von John de Mol erfunden, das schon in den Niederlanden erfolgreich lief, in Deutschland umzusetzen – das ist neu, das ist stark, da muss man erst mal draufkommen.

Bei „Newtopia“ sollen 15 Teilnehmer mit nichts eine neue Gesellschaft auf einem Bauernhof in Brandenburg aufbauen. Zugegeben, nichts ist ein dehnbarer Begriff: 5.000 Euro gibt’s zum Start, ein Handy, Kühe und Hühner sind schon da, Gas-, Wasser- und Stromanschluss sind auch gelegt. 105 Kameras werden die „Pioniere“ (ja, so nennt Sat.1 seine Hobbysiedler) bei ihrem Überlebenskampf beobachten. Die Fortführung von „Big Brother“ mit anderen Mitteln. Das hat die Welt noch nicht gesehen.

Sat.1 offenbart wieder einmal die Inspirationslosigkeit eines erstarrten Fernsehapparats. Die Öffentlich-Rechtlichen machen in ihren Hauptprogrammen mal ein Quiz mit Johannes B. Kerner, mal ein Quiz mit Jörg Pilawa, mal ein Quiz mit Kai Pflaume und mal eine Show mit Til Schweigers Tochter Emma. An ihrer Seite: Johannes B. Kerner. Und die Privaten kaufen einfach Formate ein, die irgendwo schon irgendwann mal erfolgreich waren, oder schicken „Germany’s Next Topmodel“, „Deutschland sucht den Superstar“ oder das „Supertalent“ – auch alles abgekupferte Formate – in ihre 1.000. Staffel.

In einer Zeit, in der Filme und Serien überall und jederzeit zu bekommen sind, vergessen die Sender die Show. Eines der wenigen Genres, das nur linear konsumiert wird. Obwohl: Vergessen tun sie die Show nicht. Die Anstalten kümmern sich ja aktiv darum, sie zu beseitigen. Beim diesjährigen Grimme-Preis waren in der Kategorie Unterhaltung genau vier, mit gutem Willen fünf reine Showformate nominiert. Der Rest – immerhin elf weitere – waren Talks oder fiktionale Produktionen. Nichts gegen Fiktionales, nichts gegen Talks (obwohl doch, gegen die schon was), aber: Ist das alles, liebe Sender? Fällt euch nicht mehr ein?

Montag

Barbara Dribbusch

Später

Dienstag

Deniz Yücel

Besser

Mittwoch

Martin Reichert

Erwachsen

Donnerstag

Margarete Stokowski

Luft und Liebe

Freitag

Heiko Werning

Tier und Wir

Gäbe es nicht Stefan Raabs „Schlag den Raab“ und Böhmermanns Bildundtonfabrik, es würde nichts an innovativen Showformaten aus Deutschland kommen. Wirklich nichts. Keine 5.000 Euro, keine Kühe, keine Gas- und Stromanschlüsse.

Nun also „Newtopia“ und seine „Pioniere“: „Ein Jahr lang erhalten sie die Chance, sich eine eigene, andere, vielleicht bessere Gesellschaft zu erschaffen“, preist Sat.1 sein Programm an. Das Problem: Eine andere, vielleicht bessere Gesellschaft gibt es schon längst in Brandenburg. Sie heißt Tropical Islands. Dort ist auch am Vorabend noch was los. Bei Sat.1 und „Newtopia“ würde ich nicht drauf wetten.