Was bleibt, ist ein Makel

Bremens höchstes Gericht bleibt Männersache: Die von der Linksfraktion vorgeschlagene einzige Kandidatin ist durchgefallen. Wegen der verpassten Chance, einmal gelebte Gleichberechtigung zu demonstrieren, grämen sich nun auch SPD und Grüne

Die Bremer Landesverfassung fordert in Artikel 139 die Errichtung eines Staatsgerichtshofs. „Er besteht aus dem Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts sowie aus sechs gewählten Mitgliedern“, darunter zwei „bremische Richter“. Bei der Wahl der übrigen „soll die Stärke der Fraktionen nach Möglichkeit berücksichtigt werden“. Schwammige Formulierung, die Kleinfraktionen einen einklagbaren Anspruch wohl verwehrt. Wolkig auch das Qualifikations-Profil: Das Staatgsgerichtshofgesetz fordert, dass sich Bewerber durch „Kenntnis im öffentlichen Recht auszeichnen und im Leben erfahren“ sind. TAZ

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Es hat nicht gereicht. Das war zu erwarten gewesen: Die Linksfraktion hatte Mitra Razavi vorgeschlagen fürs Amt einer Richterin am Bremer Staatsgerichtshof. „Sieben Ja-Stimmen“, verkündete Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) das Ergebnis der Auszählung – der Bremer Landtag hat 78 Abgeordnete. Die sechs von SPD, CDU und Grünen ins Rennen geschickten Männer hatten zwischen 64 und 70 zustimmende Voten erhalten. Kandidatinnen gab es keine. Außer Mitra Razavi.

Razavi stammt aus Persien, lebt seit den 1970er Jahren in Bremen und besitzt die doppelte Staatsangehörigkeit. Ihre Nominierung war Anlass der Debatte: Erstmals seit 1988 hatten die interfraktionellen Vorgespräche keine Einigung herbeigeführt. Ebenso lange hatte man die Richter nur akklamiert. Die Linke hatte selbst den Modus der geheimen Wahl als „intransparent“ gegeißelt – obwohl Razavi dadurch mehr Stimmen erhielt, als linke Abgeordnete anwesend waren.

Feministischer Protest? Gut möglich. Denn durch Razavis Kandidatur war in den Blick gekommen, dass Bremens höchstes Gericht seit den 60er Jahren ausschließlich Männersache ist – und dass die Neubesetzung daran nichts ändert. Entsprechend rieb in der Parlaments-Aussprache Monique Troedel für die Linke den rot-grünen Abgeordneten die besten „gender budgeting“-Wünsche aus dem Koalitionsvertrag unter die Nase. Und erinnerte – als einziges weibliches Wesen, das im hohen Haus einer Fraktion vorsitzen darf – daran, dass „Frauen nicht per se Stellvertreterinnen“ seien. Derweil wanden sich die Vertreter der rot-grünen Koalition: „Es bleibt ein Makel“ räumte SPD-Fraktionschef Carsten Sieling ein, und das Problem sei „richtig benannt“. Zugleich strich er heraus, dass die Sozialdemokraten für die Neubesetzung in vier Jahren Frauen bereits fest im Blick hätten. Ähnlich zerknirscht gab sich sein grünes Pendant Matthias Güldner, der auf die „schweren Zeiten“ verwies, in denen seine Fraktion ihren Mann im Staatsgerichtshof nicht gegen eine geeignete Frau habe austauschen wollen. Es sei aber „ernst gemeint“, wenn er erkläre, künftig werde man diese Frage „stärker berücksichtigen“. Klar doch. Schließlich sind 2011 die schweren Zeiten für immer passé.

Mit unverhohlenem Zorn reagierte die Landes-Frauenbeauftragte Ulrike Hauffe: „Mir ist diese Wahl unverständlich.“ Mindestens sechs der gewählten Richter hätten weiblich sein müssen – wenn der Verfassungsauftrag der Gleichberechtigung ernst genommen worden wäre. Über den habe sich die Bürgerschaft in „eklatanter Weise“ hinweggesetzt und sende damit „das fatale Signal aus, dass sie sich um die Umsetzung dieser Grundpflichten nicht sehr bemüht“. Es seien „alle Fraktionen dazu aufgerufen“ gewesen, „geeignete Kandidatinnen zu suchen“, so Hauffe zur taz. Keinesfalls dürfe ihre Intervention „als Votum für die Bewerberin der Linken verstanden“ werden.

Eine feinsinnige Unterscheidung: Tatsächlich ist auch Razavi mit einem Makel behaftet – sie ist lediglich Diplom-Juristin, verfügt also über kein zweites Staatsexamen. Ein Qualifikationsgefälle? „Nein“, sagt Razavi selbst zur taz. Das sei „auch in der ganzen Auseinandersetzung nicht nachgefragt worden“. Tatsächlich ist der Abschluss, der zum Richteramt befähigt, „nicht Voraussetzung für eine Berufung“, bestätigt Matthias Stauch. Der ist als Präsident des Oberverwaltungsgerichts geborenes Mitglied des Staatsgerichtshofs. Allerdings sei „Kompetenz schon ein wichtiges Kriterium“.

Dass es in der politischen Diskussion keine Rolle gespielt hat und die Ablehnung der Links-Kandidatin ohne Klärung dieser Frage von vornherein feststand, ist zwar kein Beweis für seine diskriminierende Absicht der Akteure. Aber ein starkes Indiz.