Der Letzte seiner Art

1 A HINTERGRUND Als Olaf Scholz mal einen Kandidaten mit Migrationshintergrund suchte, fand er Kazim Abaci. Der sagte Ja und kam ins Parlament. Von der Mehrheitsbeschaffer-Rolle hat er sich längst emanzipiert

Während altgediente Sozialdemokraten vergeblich um einen aussichtsreichen Listenplatz kämpften, fiel Abaci das Mandat fast in den Schoß

VON MARCO CARINI

Er weiß es selbst: Er sollte der Vorzeigeemigrant der SPD sein. Damals, 2010, als der Landesvorsitzende und Bürgermeister in spe, Olaf Scholz, ihn beiseite nahm. „Er kam auf mich zu und fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, für die Bürgerschaft zu kandidieren“, erinnert sich Kazim Abaci. Der Deutsch-Türke überlegte kurz, dann sagte er Ja. Er landete auf Platz 21 der Landesliste und schließlich, im Februar 2011, in der Bürgerschaft.

In der SPD, der Abaci seit 2007 angehört, war er zuvor nie als politisch besonders aktives Mitglied aufgefallen. Während altgediente Sozialdemokraten vergeblich um einen aussichtsreichen Listenplatz kämpften, fiel Abaci das Mandat fast in den Schoß. Er hatte, was anderen Kandidaten fehlte: einen 1-A-Migrationshintergrund.

Geboren im türkischen Büyük Örtülü, kam Abaci mit 14 Jahren als „Gastarbeiterkind“ nach Hamburg-Bergedorf. Was als Provisorium gedacht war, wurde zum Dauerwohnsitz: Die Eltern blieben, der Sohn natürlich auch. Der heute 49-Jährige absolvierte die Schule, studierte Anfang der 90er-Jahre Volkswirtschaftslehre und Sozialökonomie, auf dem Zweiten Bildungsweg, an der ehemaligen Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP).

Während des Studiums hielt er sich mit Jobs über Wasser, arbeitete dann als Büroleiter bei einem Wirtschaftsprüfer und gründete im Jahr 2000 die „Unternehmer ohne Grenzen“, deren Geschäftsführer er bis heute ist. Der Verein hat zum Ziel, Migranten bei Unternehmensgründung und Betriebsführung zu beraten und damit die lokale Wirtschaft zu stärken. „Ottensen, die Schanze oder St. Georg“, sagt Abaci über beliebte Innenstadtquartiere, „sind heute doch ohne migrantische Unternehmen gar nicht mehr denkbar.“

Aufgefallen ist Abaci dem SPD-Chef denn auch durch sein Engagement in dem Verein, nicht durch das in der Partei. Ehe er sich den Sozialdemokraten anschloss, hatte Abaci eher mit den Grünen sympathisiert, später mit deren kurzlebiger Linksabspaltung, dem „Regenbogen“. Doch nun suchte die SPD einen Migranten und fand – Abaci. Warum sollte einer, der oft die Nachteile des Migrantenseins zu spüren bekommen hatte, nicht zugreifen, wenn ihm das zum Vorteil gereichte?

Dass ihr die Stimmen eingebürgerter „Ausländer“ nicht ganz von allein zufielen, hatte die Hamburger SPD 2011 längst begriffen. Zehn Jahre zuvor war Aydan Özoguz – heue Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration der Bundesregierung – für die SPD in die Bürgerschaft eingezogen. 2008 folgten Bülent Çiftlik und der heutige Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi, 2011 dann schließlich, auf Scholz’ Geheiß, Kazim Abaci.

„Es ist legitim, dass man über Kandidaten wie mich dieses Wählerpotenzial direkt anspricht“, sagt Abaci über seine Rolle als Mehrheitsbeschaffer. Aber, und das ist ihm wichtig, es habe sich in den vergangenen vier Jahren auch etwas getan: „Immer mehr Migranten setzen sich auf den Wahllisten der Parteien durch, nicht weil sie Migranten, sondern weil sie einfach gut sind.“ Die Zeiten, in denen ein Parteivorsitzender sich gezielt einen Migranten ausguckt und ihm eine Kandidatur anbietet, seien vorbei.

Und so hat, dass er auf der Landesliste von Platz 21 auf 13 vorrücken konnte, für Abaci damit zu tun, dass er als Abgeordneter und integrationspolitischer Sprecher seiner Partei vier Jahre lang vernünftige Arbeit geleistet hat. So ein Sprecherposten ist allerdings zweischneidig: „Ich habe diesen Job gern gemacht, aber ich möchte nicht auf Migrantenpolitik reduziert werden“, sagt er. „Ich kann mir mich auch in ganz anderen Bereichen vorstellen.“

Bislang saß Abaci für die SPD im Schul-, im Sozial- und im Eingabeausschuss. Ihm ist wichtig, dass die vielen Flüchtlinge, die in diesen Wochen Hamburg erreichen und von denen viele auch qualifiziert sind, nicht nur ein Dach über den Kopf bekommen, sondern auch in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt integriert werden, um ihre Potenziale auszuschöpfen. Dafür will Kazim Abaci sich weiterhin in der Bürgerschaft einsetzen – auch wenn er damit wieder beim Thema Flucht und Migration landet.