Revolution im Wasserglas

DIE BILANZ VOM ORANIENPLATZ

Damals, an jenem Märztag vor einem Jahr, war Dilek Kolat die strahlende Siegerin. Die Vereinbarung, die die Integrationssenatorin mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz unterzeichnet hatte, war so etwas wie die Zerschlagung des gordischen Knotens. Die Flüchtlinge verließen ihre Zeltstadt gegen die Zusicherung von Heimplätzen und einer Einzelfallprüfung – und alle schienen als Gewinner vom Platz zu gehen: die Flüchtlinge, die beherzt gekämpft hatten; das grün regierte Kreuzberg, das den Räumungsdrohungen des Innensenators widerstanden hatte; vor allem aber Dilek Kolat, die als geduldige Verhandlerin ihr politisches Gesellinnenstück vorweisen konnte.

Seit dieser Woche wissen wir: Der eigentliche Sieger vom Oranienplatz heißt Frank Henkel. Weil „Einzelfallprüfung“ nicht automatisch „wohlwollende Einzelfallprüfung“ bedeutet, sieht die Bilanz der „politischen Lösung“, die damals am Oranienplatz gefunden wurde, verheerend aus: Von 576 Flüchtlingen, die die Vereinbarung mit dem Senat und dem Bezirk unterzeichnet hatten, haben nur drei eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Allen anderen hat der CDU-Innensenator die kalte Schulter gezeigt. Der Oranienplatz steht damit für den kühlen Paragrafenhumanismus eines Senats, der sich sonst recht blumig mit Vokabeln wie Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen schmückt.

Verliererin ist dagegen die SPD – und eine schlechte dazu. Vor drei Wochen, also knapp ein Jahr nach der Vereinbarung vom Oranienplatz, haben die Sozialdemokraten bei ihrer Klausurtagung in Leipzig dem Innensenator ein kleines Fehdehandschühlein hingeworfen. Frank Henkel soll, wenn es nach ihnen, den guten Sozialdemokraten ging, die Zuständigkeit für die Ausländerbehörde entzogen werden. Diese soll zu einem Landesamt für Einwanderung umgebaut werden und künftig Integrationssenatorin Kolat unterstellt sein. Bloß sind die Sozialdemokraten nicht zuständig.

Hilfreicher als so ein bisschen Revolution im Wasserglas wäre es gewesen, wenn die Möchtegernechefin eines Landesamts für Einwanderung vorher gehandelt hätte – und der Unterschrift unter den Vertrag auch die nötige Beherztheit in der Konfrontation mit Henkel hätte folgen lassen. So aber fällt die Oranienplatz-Bilanz gleich doppelt traurig aus. Für die Flüchtlinge. Und für Dilek Kolat und ihre SPD. UWE RADA