Da ballt sich die Faust in der Tasche wie von selbst

TECHNOID Hilfestellungen im Kampf der Computer-Nerds gegen das Schweinesystem: der Musiker Alec Empire und sein Werk „Reset“

Das wird Alec Empire jetzt nicht gefallen. Ganz und gar nicht. Aber es gibt Momente auf „Reset“, dem neuen Album seiner Band Atari Teenage Riot, einzelne Momente nur, sicher, aber eben Momente, da fühlt man sich – ein wenig zumindest – erinnert an, ähem, Scooter. Jetzt ist es raus, Sorry.

Aber eben zumindest im Titelsong, wenn der Chor euphorisch „Atari Teenage Riot is ready to go“ grölt, während Gitarren rotieren und der Beat kräftig und immer schön auf die Eins knallt, produziert unsere liebste Electro-Punk-Combo ein ähnlich großartig hirnloses Gewummer wie sonst bloß die gern geschmähten Party-Könige um den blondierten H. P. Baxxter.

Aber keine Sorge. Erstens haben Scooter es ja mittlerweile geschafft, sich eine einigermaßen seriöse Reputation als selbstironische Feierpioniere zuzulegen. Und zweitens sind der mittlerweile 42-jährige Empire und seine Mitstreiter Nic Endo, CX Kidtronik und das neueste Mitglied, der Rapper Rowdy Superstar, natürlich nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch immer noch meilenweit entfernt von irgendwelchem spaßigen Techno.

Das haben sie seit der Gründung der Band in anderer Besetzung 1992 in Berlin und auch nach Empires Umzug in das damals für seine radikale Idee von Musik sehr viel aufgeschlossenere London zwei Jahre später immer wieder nachgewiesen. Wie aktuell diese Idee heute noch ist, zeigen sie programmatisch gleich mit „J1M1“, dem Eröffnungssong von „Reset“: In dem donnert der Rhythmus ungestüm, eine Keyboard-Melodie quietscht wie eine verzogene Tür, und die Gitarren knattern, als wären sie schlecht gelaunte alte Männer. Da ballt sich die Faust in der Tasche wie von selbst. „If they had their way we would be face to the ground“, droht es immer wieder im Text, bis Endo Hilfestellung gibt im Kampf gegen das Schweinesystem: „Don’t let them break you!“

Von „denen“ ist in guter, alter linksradikaler Tradition viel die Rede in den Texten auf „Reset“, von denen da oben, von denen, die auf der anderen Seite stehen, von denen, die „einem erzählen, man sei nichts wert“, von denen, die am schlimmen Zustand der Welt schuld sind, von „modernen Lügnern“, wie ein Songtitel ankündigt, von Mördern und Kriegsgewinnlern, von denen, die den Überwachungsstaat organisieren. Wir leben, diagnostizieren Atari Teenage Riot, in „einem Jahrzehnt, in dem Gewalt immer mehr Gewalt gebiert“, einer Zeit, in der sich zu viele „hinter den Drogen verstecken“, in einer Scheißzeit halt.

Aber, verspricht der seit 2007 wieder in Berlin lebende Empire, es gibt einen Ausweg aus der Dystopie. „Einige sagen, Computer zerstören unsere Menschlichkeit“, deklamiert er in einer vergleichsweise ruhigen Minute. „Wir aber sagen, Computer werden von Menschen kontrolliert und können dazu verwendet werden, der Menschlichkeit zu helfen.“

Atari Teenage Riot, könnte man jetzt anmerken, benutzen Computer hin und wieder auch dazu, erstaunlich stumpfe Musik wie „Transducer“ herzustellen. Aber was Empire, der schon mal eine Erkennungsmelodie für das Treffen des Chaos Computer Clubs komponiert hat, meint, sind natürlich jene Menschen, die sich am besten auskennen mit den Rechnern. Die Hacker sind für ihn die Helden der Moderne, bereit dazu, uns in eine bessere Zukunft zu führen, wenn wir nur auf sie hören würden. Die Computer-Nerds von heute sind die strahlenden Ritter von morgen, die uns beschützen vor den multinationalen Konzernen und den von ihnen kontrollierten Regierungen.

Ob in diesem Kampf ausgerechnet bösartig schweren Metal-Riffs, rauschhafte Refrains und womöglich sogar gelegentliche Ausflüge ins Opernhafte die angemessenen Waffen sind? Das ist zumindest fraglich.

Aber als Ventil gegen den Frust, als Aufbauhilfe für den demoralisierten Aktivisten, als Euphoriepille für den ermüdeten Computer-Revoluzzer, also, wenn man so will, als politisch korrekte Alternative zu Scooter, dazu taugt „Reset“ ganz hervorragend. THOMAS WINKLER

■ Atari Teenage Riot: „Reset“ (Digital Hardcore Reordings/Rough Trade)