Simulation von Nähe

REICH Wie die ökonomische Krise zur privaten wird („Sto Spiti“, 23.55 Uhr, ZDF)

Die Berlinale ist gerade vorbei, da zeigt das kleine Fernsehspiel eine vierteilige Reihe mit Berlinale-Filmen. Der erste heißt „Sto Spiti – zu Hause“.

In so einem Zuhause lässt sich die Griechenlandpleite aushalten: in der strahlendweißen Architektenvilla mit Ägäisblick. Und mit Nadja (Maria Kallimani), die sich um alles kümmert, seit sie vor 20 Jahren aus Georgien zu den reiche Leuten kam, ob Küche, Garten oder Tochter. Der reiche Mann muss nicht einmal sein Hemd selbst anziehen. Der Autor und Regisseur Athanasios Karanikolas will dem gönnerhaften Paternalismus alter Schule hier kein Denkmal errichten. Wenn Nadja sich mit den reichen Leuten an den Tisch setzen und Wein trinken darf, wenn ihre Tochter auf gute Schulen gehen darf, wenn die reiche Frau sagt, sie seien wie Freunde – dann hat das einen Beigeschmack. Machtausübung durch Simulation von Nähe und Großzügigkeit.

Nadja hat auch nach 20 Jahren bei den reichen Leuten noch keine Krankenversicherung. Der Arzt ist ein guter Freund der Familie, als Nadja krank wird, verständigt man sich über ihre Behandlung. Aber Nadja wird nicht wieder gesund werden. Da sagt der reiche Mann zu seiner Frau: „Evi, sie ist nicht Familie. Sie arbeitet für uns.“ Die Frau: „Sie ist also nicht Familie? Wer war bei mir, als ich das Kind verloren habe? Warst du das?“ Der Mann: „Ich kann keinen kranken Menschen bei mir im Haus haben. Verstehst du das nicht?“ Die Frau versteht. Die Krise trifft irgendwann auch die Reichen. Das Pferd der Tochter, es heißt tatsächlich „Spartakos“, muss weg, das spart 1.000 Euro im Monat.

Dass auch Nadja wegmuss, hat mit der Krise zu tun und mit den Klassenverhältnissen. Sie wird die reichen Leute wegen ihrer Kündigung nicht verklagen. Der Stoizismus, mit dem sie ihr Los erträgt, trägt auch den Film und findet seine kongeniale Entsprechung in der statischen, distanzierenden Bildgestaltung von Johannes Louis. JENS MÜLLER