: Wenn Cyborgs tanzen
TANZ Zwischen Computerwelten und Ballett bewegt sich der Choreograf Sergiu Matis. Er sucht nach Erleichterung für den „überinformierten“ Körper. Bei den Open Spaces der Tanzfabrik zeigt er ein neues Stück
VON ANNETT JAENSCH
Sie liegen zu dritt am Boden, fahnden nach der richtigen Position von Armen und Beinen. Gut eine Woche vor der Premiere hakt es hier noch. „Wir brauchen Zärtlichkeit“, ruft Choreograf Sergiu Matis und versucht das Körpertableau zurechtzurücken.
Für sein Stück „Explicit Content“, das während des Festivals Open Spaces der Tanzfabrik uraufgeführt wird, will er die Zukunft des Tanzes aus der eigenen tänzerischen Vergangenheit herleiten und hat dafür ein Szenario mit Cyborgs erdacht. Maschinenwesen, die miteinander kuscheln? Wie taugen die als Botschafter eines zukünftigen Tanzes?
Der Fragezeichen nimmt sich Matis in einer Probenpause an. Mit den Perspektiven des Tanzes befasse er sich schon eine Weile, sagt der 33-Jährige. In der installativen Arbeit „Fake – The real deal“ (2014) etwa beschallte er zwei Stunden lang einen abgedunkelten Raum mit weissagenden Stimmcollagen. Spekulation traf Reflexion traf Orgiastisches. Matis hat viel übrig für die Mischung aus Herausforderung und Zumutung fürs Publikum.
„Ich liebe Theater, das überfordert.“ Nicht umsonst fällt der Name des Regisseurs René Pollesch mit seinen überbordenden Inszenierungen. Mit dem Blick nach vorn schwimmt Matis momentan eher gegen den Strom. Der Trend zur Rückblende hat sich seit geraumer Zeit festgesetzt, mit großem Verve begutachtet der Tanz die eigene Historie. Huldigung von Ikonen der Vergangenheit, massenhaftes Ausgraben verschütteter Scores. „Plötzlich hatten alle Interesse an Rekonstruktionen“, erinnert sich Matis, „das beschwerte die Körper aber auch in gewisser Weise.“
Der gebürtige Rumäne weiß, wovon er spricht, wenn es um körperprägende Faktoren geht. Die eigene Tanzvita begann mit einer klassischen Ballettausbildung in Cluj-Napoca, seiner Heimatstadt. Zu der Zeit bewegten ihn noch ernsthafte Ballerino-Ambitionen. 1999 ging er nach Deutschland, und zusehends verschoben sich Matis’ Tanzkoordinaten durch Engagements in Stuttgart, Nürnberg, später in Berlin als Gasttänzer bei Sasha Waltz und schließlich vollends im HZT-Studiengang Solo/Dance/Authorship. Den zeitgenössischen Ansatz bezeichnet er heute als „Erleichterung“ für seinen „überinformierten“ Körper.
„Die Ballettmaschinerie ist in meinen Körper eingeschrieben.“ Er nennt es „Kontamination“ und meint das nicht negativ. Für seine HZT-Abschlussarbeit „Keep it real“, erzählt er weiter, arbeiteten sie an der Übertragung von „animated gifs“, bewegten Computer-Grafiken, in tänzerische Bewegung, und plötzlich war sie da, die Parallele zur Ballettklasse. Um den gewünschten Loop hinzukriegen, brauchte es eine gehörige Portion disziplinierte Hingabe oder „nerdiness“, wie er es nennt.
Inwieweit sich das obsessive Tüfteln aus der Computerwelt demnächst in den Tanzsaal überträgt, bleibt abzuwarten. Tatsache sei aber, dass viele Kreative seiner Generation den Drang verspürten, ihre prall gefüllten Körperarchive zu thematisieren.
„Keep it real“ kam 2013 als Glitterspektakel mit Bitches, Zombies, Cyborgs daher – dieses bunte Clübchen gleicht einem Panoptikum popkultureller Chiffren. „Sind wir nicht alle Bitches?“, fragte er damals in die Runde. Wohl kaum, sagt er heute außerhalb der Bühne. Das Schrille stehe nicht im Fokus, vielmehr lade er das Publikum in einen surrealen Theaterraum ein.
Im Laufe des Stückes dürfte zudem eins auffallen: wie sich dank ironischer Brechung von Aussagen subtile Kapitalismuskritik herausschält. Je verfremdeter die Körper erscheinen, desto klarer lassen sie sich als Spielbälle eines fatalen Zeitgeschehens lesen.
Beim doppelten Espresso schiebt Matis noch etwas zum Thema Protest nach: „Mit Adidas-Schuhen an den Füßen beschleicht einen ein ungutes Gefühl auf einer Demo“, gesteht er, „nämlich gefangen zu sein im System.“ Im Herbst 2013 war er jeden Sonntag bei Aktionen vor der Rumänischen Botschaft gegen das Goldminenprojekt Rosia Montana dabei, weiter ging’s dann zur Russischen Botschaft, um Putins Homophobie-Gesetzen die Stirn zu bieten. „Irgendwann fühlte es sich nur noch wie ein trendy Sonntagsritual an.“
Im Gespräch lüftet er schließlich noch das Cyborg-Rätsel: Ein Essay von Donna Haraway habe ihn inspiriert. Die marxistisch aufgestellte Feministin verblüffte bereits 1985 mit treffenden Prognosen zur Technisierung unserer Welt. Cyborgs erscheinen bei ihr als Metapher für eine von Genderzwängen befreite Gesellschaft. Diese Idee soll auch in „Explicit content“ hineinhallen.
■ Sergiu Matis: „Explicit Content“, Tanzfabrik in den Weddinger Uferstudios, 19.–22. 2., jeweils 19 Uhr