Der Autor und Frau Jedermann

In „Odette Toulemonde“ erzählt Eric-Emmanuel Schmitt kitschig vom Kitsch

„100 Minuten Erholung für die Seele“ ist das völlig ernst gemeinte Fazit eines Kritikerkollegen über diesen Film, und besser kann man es kaum sagen. Das Kino als Trostmaschine läuft hier auf vollen Touren, und so ist der Erfolg an den Kassen vorprogrammiert. Natürlich ist das Kitsch, aber genau den erwartet das Publikum ja auch von einer Schnulze. Auch Verrisse prallen an solchen Rührstücken völlig wirkungslos ab, weil ästhetischen Maßstäbe hier überhaupt nicht fassen. Interessant an „Odette Toulemonde“ ist nun, dass genau diese Mechanismen in ihm beschrieben werden – der Film also im Grunde von sich selbst erzählt.

Eric-Emmanuel Schmitt ist der international erfolgreiche Verfasser von Romanen wie „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, die von der Literaturkritik meist ignoriert oder polemisch runtergemacht wurden. Regelmäßig wirft etwa Denis Scheck in seiner Fernsehsendung „Druckfrisch“ Schmitts aktuelles Buch, das unweigerlich in der von ihm kommentierten Bestsellerliste auftaucht, nach ein paar bissigen Bemerkungen in den Müll. Dies scheint auch in französischen Literaturmagazinen so üblich zu sein, denn genau solch eine Szene zeigt nun Schmitt selbst in seinem Film. Dort ist es der Erfolgsautor Balthazar Balsan, der entsetzt vor dem Fernseher ansehen muss, wie sein letztes Buch von einem scharfzüngigen Kritiker („Ach wäre es doch tatsächlich sein Letztes!“) verrissen wird. Aber Balsans Bücher sind Balsam für seine Leserinnen, die bei der Lektüre die triste Realität hinter sich lassen können. Odette Toulemonde (also „Frau Jedermann“, Schmitts Namen sind Signale) ist eine von diesen Süchtigen, und sie beginnt buchstäblich zu schweben, sobald sie die Nase in einen seiner Roman steckt. So sieht man sie schwerelos von ihrem Sitzplatz im Autobus aufsteigen und das Buch in ihren Händen ist dabei der Quell eines warmen Leuchtens, das ihr Gesicht erhellt. Die Verkäuferin in einer Kosmetikabteilung ist so begeistert von den Büchern Balsans, dass sie ihm einen Fanbrief schreibt, und da der Autor gerade eine schwere Schaffenskrise durchlebt, steht er eines Tags vor der Tür seiner glühenden Verehrerin und fragt, ob er nicht ein paar Tage bei ihr wohnen kann. Das Zusammenleben von Autor und Fan führt zu rührend-amüsanten Vorkommnissen. Odette wird etwas selbstbewusster, während Balsan von seinen Selbstzweifeln geheilt wird, nachdem er hautnah erleben darf, wie seine Bücher das Leben der „kleinen Leute“ ein wenig erträglicher machen.

Nach dem Erfolg der Verfilmung von „Monsieur Ibrahim“ hat Schmitt so viel Einfluss gewonnen, dass er beim nächsten Film nach einem seiner Stoffe selbst Regie führen durfte. Mit Darstellern wie Catherine Frot in der Titelrolle und Albert Dupondel als sein Alter Ego ist dies fast ein Selbstläufer und immerhin beweist Schmitt, dass er hinter der Kamera das gleiche Gespür für Effekte hat wie auf dem Papier. Aber er verschenkt auch vieles durch unnötige Wiederholungen. So schwebt Odette zu oft durchs Bild, so dass man spätestens nach dem dritten Mal beginnt, die versteckten Drähte zu suchen. Originell ist dagegen Schmitts selbstreflexive Methode: Er erzählt von einem Autor, der die gleiche Art von Büchern schreibt wie er. Er beschreibt, wie diese ein Publikum begeistern, das ihm selbst fremd ist und welche Wirkung seine Art zu schreiben auf diese Leserinnen hat -– und genau die gleichen Mittel benutzt er auch im Film selbst. Odette Toulemonde würde sich im Kino begeistert den Film „Odette Toulemonde“ ansehen.Wilfried Hippen