Wie Alaeddin Yavasca Berlin eroberte

Endlich Leben im Foyer der Philharmonie: Beim Auftakt der Konzertreihe „Klangkulturen“ vermischten sich deutsches und türkisches Bürgertum der Stadt. Das Konservatorium für türkische Musik spielte mit zwei klassischen Orchestern

Wer will bestreiten, dass die Berliner Philharmoniker das beste Orchester der Welt sind? Sie spielen aber nicht im luftleeren Raum, und so wird der pure Kunstgenuss bei Abonnementskonzerten stets durch einen demographischen Befund geschmälert. Dass der Altersdurchschnitt im Saal kaum unter dem Renteneintrittsalter liegt, verursacht nämlich nicht bloß atmosphärische Kollateralschäden. Vor sich hin fiepende Hörgeräte im Pianissimo eines langsamen Satzes erinnern auch daran, dass der klassische Konzertbetrieb schon bald mit dem zahlenden Publikum wegsterben könnte.

Ganz anders stellte sich die Situation am Mittwochabend dar. Mit einigem Tamtam wurde da die Konzertreihe „Klangkulturen“ eingeläutet, die das Deutsche Symphonie Orchester Berlin (DSO) zusammen mit dem Rundfunk-Orchester (RSO) und dem Konservatorium für türkische Musik Berlin hier noch bis zum April auf die Bühne der Philharmonie bringen will. Man ahnt, worauf die Orchesterintendanten, Generalkonsuln und Kulturbeauftragten der Bundesregierung in ihren Grußworten abhoben: Mittels der Universalsprache Musik will man sich am Brückenschlag zwischen Orient und Okzident versuchen, Gemeinsamkeiten herausarbeiten und so nicht zuletzt das Klima zwischen den Kulturen erwärmen. Ein Blick ins Foyer belegte schon vor dem Konzert, dass diese gut gemeinte Absicht vielleicht nicht einmal zu hoch gesteckt ist. So laut, so verraucht und lustig geht es hier sonst selten zu.

Wenn sich aber die Mischung aus türkischem und deutschem Publikum schon gut anließ, wie stand es dann um die musikalische Fusion aus Ost und West? Zu hören waren das Deutsche Symphonie Orchester und das Ensemble des Konservatoriums für türkische Musik, einer Kreuzberger Institution unter der Leitung des Oud-Spielers, Komponisten und Dirigenten Nuri Karademirli, die sich seit den Neunzigern der Pflege der türkischen Volks- und Kunstmusik widmet.

Die Stücke, die der von Staats wegen hoch dotierte symphonische Klangkörper und die aus einem Liebhaberprojekt erwachsene Musikgruppe zunächst getrennt und dann im Zusammenspiel boten, stammten allesamt aus der Feder türkischer Komponisten. Beeindruckend: die klassischen türkischen Lieder, bei denen Karademirlis Ensemble den großartigen Sänger Alaeddin Yavasca begleitete. Yavasca ist 81 Jahre alt, Arzt und Komponist von Beruf und hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in seinem Land wie kein anderer für den Erhalt der musikalischen Traditionen eingesetzt. Wie aber Yavasca die von ihm selbst komponierten Lieder mit einer geradezu jugendlich klaren und durchdringenden Stimme zu Gehör brachte, das riss das Publikum zu einem Begeisterungssturm hin.

Der eigentliche Star des Abends aber war der 1970 geborene Komponist und Pianist Fazil Say. Er interpretierte sein eigenes Klavierkonzert „Silence of Anatolia“ und bewies dabei durch hingebungsvolles Spiel und atemberaubende Anschlagstechnik, warum er derzeit im Begriff ist, in die erste Liga international gefragter Klaviervirtuosen aufzuschließen. Auch die Musik selbst hatte es aber in sich. Ausgehend von der Schlichtheit eines einzigen ostinat wiederkehrenden Tones des Klaviers entfaltet es einfache Melodien, die von der sanglichen Einstimmigkeit orientalischer Musik ausgehend erst nach und nach eine Harmonisierung durch den glänzend gesetzten Part des großen Orchesters nachziehen. Die weiten Klangflächen der Streicher und die gegenläufig harten Einwürfe der Bläser und Schlagzeuger verweben sich mit der stets dominierenden, aber auch immer wieder verschwindenden Melodiestimme des Klaviers, ohne dass das Stück dabei auch nur einen Moment lang in den Schoß der aus der westlicher Musik gewohnten polyphonen Harmonik finden würde.

Einstimmigkeit und Rhythmus sind in Fazil Says Musik die dominierenden Spuren der türkischen Tradition, wobei der Verzicht auf tonsetzerische Komplexität plötzlich neue Strukturen hörbar macht: Auch die Perkussion hat schließlich ihre Harmonik, und die Obertonreihen, die hier ganz frei zum Schwingen kommen, helfen dabei, die weiten Landschaften Anatoliens, an die Say gedacht haben mag, auch vor dem inneren Auge des Hörers plastisch zu machen.

Die derart hochgespielten Erwartungen konnten sich aber nach der Pause nicht mehr erfüllen. Eine Komposition von Nuri Karademirli vereinte an diesem Abend erstmals das DSO mit dem Ensemble für türkische Musik und bewies, wie gründlich die musikalische Fusion von Orient und Okzident auch scheitern kann, wenn sie zwar gut gemeint ist, aber kompositorisch kaum gemeistert wird. Die Vordergründigkeit der polternden Rhythmen, mit denen das Orchester die Melodieführung der türkischen Musiker illustrierte, ging schnell auf die Nerven. Und auf einmal war die Veranstaltung auf das Niveau eines blöden Pop-Klassik-Experiments herabgesunken, bei dem das resigniert entschuldigende Lächeln im Gesicht der Orchestermusiker verriet, wie sehr sie von den Noten vor der Nase unterfordert wurden. RONALD DÜKER