Kaum noch Hoffnung auf Frieden

UKRAINE Präsident Petro Poroschenko bestätigt den Verlust von Debalzewe. Prorussische Kämpfer im Gebiet Donezk melden die Einnahme von zehn weiteren Ortschaften

„Der Waffenstillstand von Minsk wurde in Debalzewe begraben“

ANATOL, TAXIFAHRER IN KIEW

AUS KIEW BERNHARD CLASEN

„Der Waffenstillstand von Minsk wurde in Debalzewe begraben“, resümiert resigniert Anatol, Taxifahrer in Kiew. Am Mittwoch räumte auch Präsident Petro Poroschenko den Verlust des Eisenbahnknotenpunkts Debalzewe ein. Demonstrativ zeigte sich Separatistenchef Alexander Sachartschenko in den vergangenen beiden Tagen direkt an der Front von Debalzewe der Presse. Offenbar hatte er sich zu sicher gefühlt. Am Mittwoch musste er sich mit einer Splitterverletzung am Bein behandeln lassen.

Noch am Mittwochnachmittag reiste Poroschenko in das Kriegsgebiet. Für den Abend beraumte der ukrainische Präsident eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats an.

Unterdessen berichteten Sprecher der Donezker Separatisten, dass sie zehn weitere Ortschaften in der Umgebung von Debalzewe unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Hunderte ukrainische Soldaten seien in den letzten Tagen in Gefangenschaft geraten. „In Gruppen von 50 und 100 Mann haben sich ukrainische Soldaten den Kämpfern der Volksrepublik Donezk ergeben“, berichtet Galina aus Donezk, die dort die Aufständischen unterstützt, telefonisch der taz.

Auch wenn der Waffenstillstand in den anderen Gebieten der Ostukraine zu halten scheint, haben die Menschen vor Ort den Glauben an diesen verloren. Der Hass lasse sich auch nicht durch einen Waffenstillstand beseitigen, meint Tatjana Schneidmüller aus Zugres, das 40 Kilometer von Debalzewe entfernt ist. „Als ich meinem Verwandten in Kiew berichtete, dass bei uns die Heizung ausfällt, antwortete er mir, wir könnten uns am Kessel von Debalzewe wärmen.“

Die OSZE sei von der Aufgabe, den Waffenstillstand zu überwachen, überfordert, sagt der Kiewer Politologe Vladimir Fesenko. Man sollte über eine Mission von UNO-Blauhelmen nachdenken und auf das Angebot Finnlands, Soldaten in die Region zu entsenden, eingehen. Finnland sei nicht in der Nato. Deswegen seien finnische Soldaten auch für Russland akzeptabel. Und für die Ukraine seien Blauhelm-Missionen akzeptabel, solange sich nicht russische Soldaten an ihnen beteiligen.

Immer wieder wird derzeit eine Ausrufung des Kriegsrechts ins Gespräch gebracht. In diesem Fall kann jeder Bürger der Ukraine zum Militär eingezogen oder zur Arbeit in einem Rüstungsbetrieb zwangsverpflichtet werden. Auch Eigentum kann beschlagnahmt und die Pressefreiheit radikal eingeschränkt werden. Letzteres passiert bereits. So setzte am Mittwoch die staatliche Agentur für Kino und Medien mehrere russische Filme auf den Index. Bereits am 12. Februar hatte das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das es den Behörden jederzeit erlaubt, privaten Wohnraum für Soldaten oder Flüchtlinge zu beschlagnahmen.

Ein weiterer Umstand dürfte Poroschenko von der Ausrufung des Kriegsrechts abhalten: In diesem Fall sind die bewaffneten Aufständischen keine „Terroristen“ mehr, sondern Kombattanten. Als solche können sie strafrechtlich nicht belangt werden.

Man betrachte die gesamten Gebiete von Lugansk und Donezk als zu den Volksrepubliken gehörig, hatten Sprecher der Separatisten in den vergangenen Tagen betont. Diese Gebietsansprüche dürften einen baldigen Waffenstillstand in weite Ferne rücken lassen.

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