Der Hüter der alten Sorten

Alte Obstsorten sind die Leidenschaft von Meinolf und Karin Hammerschmidt. Hoch im Norden Deutschlands. Der Obstgarten der beiden ist eine Fundgrube für Hobbygärtner wie auch ein Beitrag zur Erhaltung der genetischen Vielfalt

VON KNUT HENKEL

Ein Apfel ist keine Rose und Apfelnamen sind mitunter ziemlich prosaisch. „Stina Lohmann“ heißt eine Sorte, die sich durch ihre besondere Lagerfähigkeit auszeichnete und vor 150 Jahren in Kellinghusen von einer Bäuerin gleichen Namens gezüchtet wurde. „Die gute Frau verschenkte noch leckere Äpfel an Bedürftige als andere schon längst keine Äpfel mehr im Schuppen hatten“, erzählt Meinolf Hammerschmidt und deutet auf einen Stamm an dem goldrote, nicht übermäßig große Äpfel hängen.

„Viele Sorten wurden wie der aus Jütland stammende ‚Signe Tillisch‘ nach ihren Züchtern benannt“, sagt Gärtnermeister Hammerschmidt. Andere bekamen ihren Namen hingegen vom Volksmund verpasst wie der „Rote Kolonistenapfel“. Der steht einige Reihen entfernt im weitläufigen Obstgarten der Hammerschmidts.

Rund 640 Apfelbäume, viele Sorten direkt aus der Region, hat der 63-jährige Gartenbaudozent im Laufe der Jahre auf dem Hof in Winderatt nahe Flensburg angepflanzt. Auf kleinen, liebevoll getöpferten Tontafeln stehen die Namen der Sorten, auf größeren Tafeln auch deren Geschichte – zumindest dann, wenn diese aufregend ist. Spannende Anekdoten zum Thema Apfel lässt Meinolf Hammerschmidt in Serie vom Stapel. Kaum ein Wochenende vergeht, an dem der Mann mit dem grauen, sorgsam gestutzten Bart nicht wissbegierige Gäste in seinem Obstgarten im Angelner Land nahe der dänischen Grenze empfängt.

Vielfältige Geschichten rund ums Kernobst

Nur zu gern kommt Hammerschmidt dann auch auf den Kolonistenapfel zu sprechen. Der ist wie viele andere Apfelsorten zugezogen. Der leuchtend rote Apfel stammt aus Schwaben. Gemeinsam mit den Arbeitern, die um 1760 die Geest urbar machten, kam er nach Norddeutschland. „Bei den Nordlichtern kam der Apfel aus dem Süden zwar gut an, aber vom ursprünglichen Namen wollten sie nichts wissen“, sagt Hammerschmidt. Der musste lange warten, bis ihm Besucher aus dem schwäbischen Kraichgau erklärten, dass der Apfel bei ihnen „Schöner von Landshausen“ heißt.

Anekdoten wie diese sammelt der Obstfachmann wie andere Leute Briefmarken. Auf den Apfel gekommen ist der gebürtige Sauerländer aus Iserlohn jedoch erst, als er seiner Frau Karin in ihr Heimatdorf nach Winderatt folgte.

Angekommen in dem kleinen Dorf im Angelner Land war Gärtnermeister Hammerschmidt schwer beeindruckt von der Vielfalt an Obstbäumen im Dorf und der Region. „Hier sind die eigenen Obstbäume oft fester Bestandteil des bäuerlichen Lebens“, sagt Hammerschmidt.

Daran hat sich, anders als in anderen Regionen, bis heute vergleichsweise wenig geändert. Selbst die Abholzprämien, die in den 60er Jahren bundesweit zur Förderung des kommerziellen Obstanbaus ausgelobt wurden, konnte der Anbautradition im Angelner Land nur wenig anhaben. Folglich gab es für Meinolf Hammerschmidt viel zu entdecken und bald halfen die alten Bauern aus den umliegenden Dörfern dem Apfelfan mit Tipps beim Ausbau des eigenen Obstgartens.

Die Idee, die alten Sorten zu erhalten, gefiel den Leuten und unvergesslich ist Hammerschmidt der Anruf einer alten Bäuerin. Die berichtete ihm vom roten Jungfernapfel. „Der hieß im Volksmund Jungferntitt. Doch das Wort wollte der alten Frau kaum über die Lippen“, erzählt Hammerschmidt lachend. Der hat aus seinem Hobby längst einen Beruf gemacht und den Obstgarten um eine Baumschule ergänzt. Viele Besucher kommen, um sich bei der Wahl des richtigen Apfelbaums von Meinolf Hammerschmidt beraten zu lassen.

So auch Axel Kraft, der an diesem Wochenende die Führung durch den Garten genießt und fleißig Apfelscheibchen probiert, um den richtigen Baum für den eigenen Garten auszuwählen. In langen Reihen, mit kleinen selbst gebrannten Tonschildern versehen, stehen die Bäume im Garten.

Zumeist sind es halbhohe Stämme, die von Holzpflöcken gehalten, derzeit reichlich Früchte tragen. Einige der Äpfel, zumeist die prächtigsten Exemplare, sind mit beigen Nylonstrümpfen umhüllt. Die schützen vor lästigen Insekten und Würmern, erklärt Hammerschmidt. Der ist regelmäßig unterwegs, um seine regionalen Sorten auf den Apfeltagen der Region vorzustellen. Makellose Exemplare von „Süderhex“ und „Angelner Herrenapfel“ sind dann genauso Pflicht wie die von englischen Spezialitäten wie “Allington Pepping“ oder „Cellini“.

Regionale Sorten haben wieder Konjunktur

Doch es sind weniger die Import- sondern die alten regionalen Sorten, die wieder Konjunktur haben. So war der Apfel des Jahres 2007 der Norddeutschen Apfeltage am 22. und 23. September der „Seestermüher Zitronenapfel“. Der findet sich auch im Garten von Meinolf Hammerschmidt. Für den ist die Artenvielfalt nicht irgendein Modewort sondern ein Wert, den es zu verteidigen gilt. Als Entwicklungshelfer hat er gelernt, welche Vorteile lokale Sorten gegenüber importiertem Saatgut haben – zumeist sind sie widerstandsfähiger.

Ein wesentlicher Grund, weshalb der Gärtnermeister seine eigene kleine regionale Samenbank angelegt hat, die jedes Jahr ordentlich Früchte trägt. „Wer weiß denn, ob die regionalen Besonderheiten, sei es die gute Lagerfähigkeit des ‚Stina Lohmann‘ oder die frühe Reife des ‚Jessenapfel‘ nicht irgendwann noch einmal benötigt werden?“ Die ersten seiner unzähligen Anekdoten hat Hammerschmidt niederzuschreiben begonnen. Um die Liebesäpfel soll es gehen: von Jungfern- bis Hochzeitsapfel.