IN BAYERN VERSETZT EINE SCHNAPPSCHILDKRÖTE EIN GANZES DORF IN AUFRUHR. „SHIT HAPPENS“, SAGT MAN IN DEN USA DAZU
: Im Angesicht der Bestie

HEIKO WERNING

Ein wunderbarer Tag im Turner Falls State Park in Oklahoma. Ein höchst dekorativer Wasserfall ergießt sich in einen Pool, während der weitere Ablauf sich bestens zum Herumplanschen eignet. Mal ein bisschen baden wäre ganz schön nach Tagen des Tierefotografierens in der Prärie, aber ich bin stets im Dienst, also habe ich natürlich die Kameratasche dabei.

Und tatsächlich, da sitzt auch schon eine Schildkröte. Allerdings, auch der zweite Blick bestätigt den Eindruck: eine Schnappschildkröte. Ich steige ins Wasser und gehe näher hin. Ich schaue ihr in die Augen: „Ehrlich jetzt mal: Bist du Lotti?“

Sie erinnern sich?

Lotti, die Schnappschildkröte, die im Sommer zuvor in einem Allgäuer Badesee eben gerade nicht gesichtet und dann mit Polizei, Feuerwehr und Bürgerwehr gejagt wurde, bis hin zum Auspumpen und Trockenlegen des gesamten Sees? Die sich offenbar zu einer Art bayerischem Nessie entwickelt, denn auch im letzten Sommer dümpelte sie wieder durch die Medien.

Der Bayerische Rundfunk etwa vermeldete: „Zuletzt kam der Verdacht auf, dass Lotti in einen Fischweiher im Zentrum des Dorfs umgezogen sei. Sie soll dort vor den Augen einer Zeugin ein kleines Entchen von unten weggeschnappt haben. Eine eigens aufgestellte Lebendfalle blieb bislang aber den Beweis schuldig.

Bürgermeister Andreas Lieb glaubt dennoch, dass sich Lotti immer noch im Umfeld seines Ortes herumtreibt. Er ist sich sicher, dass das bissige Tier irgendwann doch noch auftaucht. ‚Hunderprozentig‘, sagt der Irseer Rathauschef, Andreas Lieb, der Captain Ahab des Allgäus.

„Was machen Sie denn da?“, ruft mir jemand vom Ufer zu, der sich seltsamerweise darüber wundert, dass ich vollständig angezogen mitten im Fluss stehe und den Fotoapparat auf die Wasseroberfläche richte. Ein Ranger. „Hier ist ein Schnapper!“, antworte ich aufgeregt. Sogleich will ich mir auf die Zunge beißen. Was, wenn die jetzt auch gleich die Polizei rufen? Oder die Nationalgarde? Und die ganzen schönen Turner Falls abpumpen?

MontagIngo ArztMillionär

DienstagSonja VogelGerman Angst

MittwochAnja MaierZumutung

DonnerstagRené HamannUnter Schmerzen

MontagMeike LaaffNullen und Einsen

„Na und?“, ruft er. Ich bin irritiert. Das scheint mir keine angemessene Würdigung des spektakulären Fundes zu sein. Zumal er nachsetzt: „Die laufen hier überall rum!“ „Aber das ist doch ein Badegewässer!“ „Na und?“, ruft er wieder, „man kann hier doch auch baden.“ „Aber die können doch beißen.“ „Ja“, bestätigt er, „fassen Sie die mal lieber nicht an.“ „Und wenn jemand drauftritt?“ „Ist hier noch nie passiert.“ „Und falls doch?“ „Shit happens.“ Damit ist das Thema für ihn erledigt. Auf jeden Fall mustert er mich so eindringlich, dass ich das Gefühl nicht loswerde, dass er eindeutig mich für die größere Bedrohung der Badegäste hält als die Schildkröte. „Haben Sie eigentlich keine Badehose?“, fragt er nun mit seltsamem Unterton. „Doch, doch“, murmele ich und wate zurück.

Ich klettere die Böschung hoch, balanciere über die lose aufgeschichten Felsbrocken bis zum Weg – und entdecke ebendort ein Warnschild. „Achtung!“, lese ich staunend auf Englisch und Spanisch, „das Laufen über lose Felsbrocken kann zu Unfällen und Verletzungen führen!“