Die Lehre vom Westend

PROTEST GEGEN FLÜCHTLINGE

Dass Anwohner in Marzahn, in Buch und rund ums Allende-Viertel in Köpenick gegen den Bau von Flüchtlingsheimen mobil machen, verwundert in der Regel niemanden. Die Motive liegen scheinbar auf der Hand: rechtes Wählerpotenzial, Ausländerfeindlichkeit, keine Erfahrung im Umgang mit Fremden.

Überraschend mag da ein Streit um ein Flüchtlingsheim wirken, bei dem nicht die Menschen im abgehängten Osten mobil machen, sondern im noblen Westend. Natürlich haben die feinen Bürger des Charlottenburger Westens nichts gegen Ausländer, um Gottes Willen. Ihr Problem ist ein anderes, wie einem Brief zu entnehmen ist, mit dem sie gegen den Bau eines Heims protestieren. Von einer „Abwertung unserer Wohngegend“ und „einer Schädigung von Vermögenswerten“ ist die Rede. Zwei sehr unterschiedliche Stadtviertel, ein und dasselbe Ziel: keine Flüchtlinge. Da fragt man sich, ob es doch ähnliche Gründe für diese Haltung gibt.

Blickt man auf die Situation in Neukölln (immer noch arm) und in Pankow (eher wohlhabend), fällt auf, dass es dort keine Proteste gegen Flüchtlinge gibt. Im Gegenteil: Die Zahl der Unterstützer ist groß, es existiert also das, was sich die Politik wünscht: eine Willkommenskultur. Zwar gibt es sowohl in Neukölln und in Pankow auch Rechte; doch eint diese Quartiere eine Erfahrung, die es in Marzahn und im Westend nicht gibt: das Zusammenleben mit „Fremden“ auf engem Raum. Kein gesellschaftliches Milieu kann hier von sich behaupten, in der Mehrheit zu sein. Es gibt keine gesellschaftliche Hegemonie, sondern Diversität.

Die Lehre daraus? Soziale Mischung sollte es nicht nur in Form von teuren Wohnungen in Neukölln geben, sondern auch in Wohngebieten wie dem Westend. Also: Baut dort nicht nur Flüchtlingsheime, sondern auch Sozialwohnungen. Um des sozialen Friedens willen. UWE RADA