DIESER KOMISCHE SCHMERZ IM ARM
: Sich aus misslicher Lage quatschen

VON RENÉ HAMANN

Wir haben schon lange den Überblick darüber verloren, was es an neuen Bars in Nordneukölln so gibt, und inzwischen ist es uns auch egal. Denn wir haben im breit gestreuten Angebot unsere Lieblingsbar gefunden und eine zweite, auf die sich die anderen von uns einigen können. Und tatsächlich wird man im Holz-Kohlen am Freitagabend auf die Bestellung „Ein Tegernseer, bitte“ von dem freundlichen Wirt mit dem Moustache (der fortan wie der Wirt in der Stammbar von Jack Lemmon und Shirley McLaine in „Irma La Douce“ nur noch „Moustache“ genannt wird) mit dem Satz „Mir geht es auch gut“ begrüßt. Und die andere Thekenkraft, eine junge Frau mit Charme, berechnet einem auch das Bier nicht, das sie versehentlich abgeräumt hat, als man eben nur mal austreten war.

Apropos, es gibt auch gewaltige Nachteile dieser kleinen, angenehmen, unprätentiösen Bar. Als da wäre die Klosituation, denn für Männer gibt es nur frei hängende, einigermaßen ungeschützte Pissoirs, dabei gibt es unter uns welche, die sitzen möchten; womit das Damenklo, auch wegen der Waschbecken, zur Unisex-Toilette wird, was den meisten Gästen allerdings nichts ausmacht.

Ein weiterer Nachteil ist die Belüftungssituation. Öffnet man die Tür nach draußen, strömt eine gewaltige blaue Wolke im Schein der weißen Kugelleuchte am Eingang an die Luft. Auch kann es sein, dass man sich nach drei Bier nach einer Woche Nüchternheit und vielleicht zehn Zigaretten am nächsten Morgen mit einem gewaltigen Kopf wiederfindet, in den sich der ganze Qualm des Vorabends ausgangslos einquartiert zu haben scheint. Da helfen auch drei bis vier Kaffee, ein Liter Wasser, einige Kurzschläfchen und ein Spaziergang, der zu einem Gewaltmarsch ausartet, nicht viel.

Am Samstagabend geht es dann aber trotzdem zu der Party zu den Leuten, die einem viel bedeuten und nicht wehtun mit dem, was sie sagen. In der U-Bahn in Richtung Boddinstraße werden nur leider allmählich die Leute unscharf, man hat ein Flimmern vor den Augen, das dann auf der Party auf dem Sofa erst nach drei Cola und einem Bier verschwindet. Ich weiß nicht, vielleicht war es nur ein Müdigkeitsanfall mit Flüssigkeitsmangel. Man ist ja auch nicht mehr der Jüngste. Der Müdigkeitsanfall wird dann aber von einer heimlichen, inneren Panikattacke abgelöst, als sich eine plötzliche Verspannung in der linken Schulter bemerkbar macht und in Richtung Herz zieht. Es könnte ja auch sein, dass das dieser komische Schmerz im Arm ist, von dem man sagt, dass er ein Zeichen für einen baldigen Herzinfarkt ist? Ich schwitze und bewege mich nicht vom Fleck.

Vielleicht ist es auch nur die ganz normale Herzscheiße, die sich im Moment so schwierig gestaltet und nach einigen halbwegs normalen Wochen sich wieder körperlich bemerkbar machen will? Die Trauer, der Aufruhr, die Unwissenheit, die Schwäche? Jedenfalls gelingt es mir, mich mit wechselnden Sitznachbarn aus der eigenen misslichen Lage zu quatschen. Von der Herzscheiße erzähle ich viermal, von der anstehenden Buchpremiere noch einmal öfter, ansonsten geht es um Facebook, den CCC, das Verhalten bei roten Ampeln, Abmahnanwälte, deutsche Städte im Vergleich (Flair, Architektur, Lebensqualität) bis zum Thema Kokain und Silvesterparty. Bis dann unabsichtlich ein Aschenbecher auf mir geleert wird und ich das als Zeichen sehe, doch mal in Richtung zu Hause zu verschwinden.

■ René Hamann stellt heute Abend sein neues Buch vor, im Monarch, Kreuzberg, ab 20.30 Uhr