Unser versautes Schlimm-O-Meter

Die Superlative haben sich abgenutzt. Geschreiseiten wie Buzzfeed sind schuld daran, wie die internationale Nachrichtenlage. Anders ist es schwer erklärlich, dass eine Nachricht in dieser Woche einfach so weggeschulterzuckt wurde: Die Entlarvung der „Equation Group“, einer Hackergruppierung, deren Software gezielt hochrangige Ziele bei Regierungen und Militärs angegriffen hat; deren Arbeit in US-Medien als „furchteinflößendste Cyberspionage ever“ bezeichnet wurde und von der Sicherheitsfirma Kapersky als „eine der raffiniertesten Cyberangriffsgruppen der Welt“. Malware, die praktisch nicht mehr vom Rechner entfernbar ist. Viel spreche dafür, dass die NSA dahinterstehe, schreiben viele – vielleicht gar die Macher des legendären Stuxnet-Wurms, der 2010 das iranische Atomprogramm sabotierte. Das US-Magazin Wired sieht darin den Beleg für ein Cyber-Manhattan-Projekt – eine Referenz an die geheime Forschergruppe, die die ersten Atombomben baute.

So viele Superlative. Und doch keine Aufregung. Neue Malware-Monster, erschaffen wahrscheinlich im Auftrag des Staates? Noch mehr Info-Apokalypse? Ein weiterer Beleg für Außenpolitik via Cyberspionage? Alle wissen, dass praktisch keine digitale Kommunikation mehr sicher ist – und irgendwie tut trotzdem niemand etwas? Das ist doch so was von 2013. Hilflos die einen, die angesichts der Megaskandale einfach kapitulieren. Andere haben es ja schon immer gewusst. Neu hinzu kommen die, die unter dem Eindruck von Charlie-Hebdo-Massakern, IS-Terror und der Ukrainekrise das transatlantische Bündnis und staatliche Sicherheitsversprechen wichtiger nehmen als Grundrechte im Digitalen.

Die Snowden-Leaks, sie haben unseren Schlimm-O-Meter versaut. Der BND soll laut einem auf netzpolitik.org geleakten Entwurf zur Reform des Verfassungsschutzes noch mehr Kompetenzen zur Abwehr von „Cybergefahren“ bekommen? Neue Versuche, Kryptografie einzudämmen? Jede weitere neue Enthüllung von Spähmaßnahmen macht den Kohl jetzt scheint’s nicht mehr fett. Zynismus und Privatsphärenverwahrlosung allerorten.

Am Freitag dann eine neue Umdrehung im NSA-Skandal: Der US-Geheimdienst und das britische Pendant GCHQ sollen Verschlüsselungscodes für SIM- und Kreditkarten gestohlen haben. Bedeutet: Theoretisch ist jegliche Kommunikation übers Handy anzapfbar. Das gruselt dann vielleicht doch viele. Auch wenn sich am Ende – tja, Geheimdienste halt – nicht wirklich etwas ändern lassen wird.

„Wir haben verloren“, sagte Peter Sunde bei einer Rede in Berlin Ende Januar. Und meinte alle, die zentralisierte Strukturen in den Netzen und das Vernachlässigen von Grundrechten wie Meinungsfreiheit und Privatsphäre für keine gute Idee halten. Sunde, frisch aus dem Gefängnis entlassen, wo er wegen seiner Mitarbeit bei dem BitTorrent-Tracker The Pirate Bay einsaß, war einst einer dieser wundervoll frech-widerständigen Netzanarchos, nach außen wenig beeindruckt von all dem Bums, den ihm Staat und Industrie entgegenwarfen. Dann und wann fühle es sich vielleicht noch so an, als würde man eine Schlacht gewinnen, sagte Sunde nun in Berlin – beim Aus für Acta, Sopa und Pipa etwa. Gleichzeitig verliere man aber an zehn anderen Fronten – von denen man oft noch nicht einmal wisse. Richtig daran: Gerade Geheimdienstüberwachung und internationale Abkommen machen es immer schwerer, Gefahren und Adressaten überhaupt zu identifizieren.

Beunruhigend an Sundes Haltung, die nicht wenige aus dem Kern der Hacker- und Aktivistenszene teilen, ist die Resignation. All ist lost. Man habe schon vor langer Zeit verloren, sagte Sunde. Andere argumentieren: Wenn nach den Snowden-Enthüllungen nichts passiert ist, was soll man dann noch tun können? Sunde scheint daraus für sich eine Art Rückzug ins Analoge abzuleiten. Was dem von der kriselnden Weltlage überforderten Linken sein Garten und seine Landlust ist, ist dem Digitalaktivisten die Welt AFK. Away from keyboard.

Wenn das Streiten für digitale Freiheiten – was nie ein Thema der breiten Masse zu werden drohte – jetzt sogar von denen aufgegeben wird, die einst Galionsfiguren der Netzaktivisten waren, dann – äh, ja, dann könnte man sich einfacheren, hübscheren Themen zuwenden: Zum 25. Geburtstag von Photoshop etwa darüber nachdenken, wie ein Dienst Schönheit zumindest im Standbild demokratisiert hat. Oder sich den diversen Smartwatches und Datenbrillen widmen, die in dieser Woche von Großkonzernen angekündigt wurden. Schöne neue Gadgets. Die, nun gut, das war’s auch schon mit hübsch hedonistisch, auch ihr Spähpotenzial haben. Andererseits: Wer will sich darüber noch wirklich aufregen?

MEIKE LAAFF