Es begann mit einer Liste

PROZESS Ab Montag steht Sebastian Edathy wegen des mutmaßlichen Besitzes von Kinderpornografie vor Gericht

VON TOBIAS SCHULZE

Sebastian Edathy ist wieder da: Monatelang war er nach seinem Kinderpornoskandal im Ausland untergetaucht, unterbrochen nur durch zwei Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags. Jetzt muss er vor dem Landgericht Verden auftreten. In der Kleinstadt an der Aller beginnt am Montag der Prozess gegen den Ex-SPD-Abgeordneten. Endgültige Klarheit kann das Verfahren kaum schaffen – dafür sind zu viele Fragen offen.

Seit Monaten beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss mit der Edathy-Affäre, jetzt kommt auch noch der Prozess in Niedersachsen dazu. Was ist der Unterschied?

Das Gericht beschäftigt sich mit den Vorwürfen gegen Edathy selbst. Es klärt also, ob er tatsächlich Kinderpornos besessen und konsumiert hat und welche Strafe er gegebenfalls erhält. Den Untersuchungsausschuss interessieren diese Fragen überhaupt nicht. Er soll vor allem aufklären, wer wann welche Informationen aus den laufenden Ermittlungen ausplauderte und damit Edathy eventuell vorwarnte. Anders als vor Gericht gibt es im Ausschuss übrigens keine Angeklagten, sondern nur Zeugen. Am Ende sprechen die Abgeordneten auch kein Urteil, sondern erstellen nur einen Bericht, in dem sie ihre Erkenntnisse zusammenfassen.

Was wirft die Staatsanwaltschaft Edathy vor?

Als die Polizei im Februar 2014 Edathys Wohnung und seine Büros durchsuchte, fand sie eine CD mit der Aufschrift „Movies“ und einen Bildband mit dem Titel „Boys in ihrer Freizeit“. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft enthielten die beiden Beweismittel „teilweise jugendpornografische Darstellungen“, deren Besitz illegal gewesen sei. Außerdem soll Edathy über seinen Dienstlaptop mindestens siebenmal Kinderpornos aus dem Internet geladen haben. Diesen Laptop hatten die Ermittler zwar nie in der Hand, weil er laut Angeklagtem im Zug gestohlen wurde. Die IT-Abteilung des Bundestags protokollierte aber routinemäßig den gesamten Datenverkehr des Rechners und konnte nachträglich feststellen, welche Seiten aufgerufen wurden.

Welche Strafe droht Edathy?

Auf den Besitz von Kinderpornos stehen bis zu zwei Jahre Gefängnis. Edathy könnte im Fall einer Verurteilung aber mit einer Geldstrafe davonkommen: Das Gericht spricht von „vergleichsweise wenigen Taten mit einer begrenzten Anzahl an Zugriffen“.

Wie sind die Ermittler auf Edathy aufmerksam geworden?

Die kanadische Polizei startete im Jahr 2010 eine Aktion gegen einen Händler aus Toronto, der vorwiegend FKK-Videos im Angebot hatte, auf denen nackte männliche Jugendliche und Kinder zu sehen sind. Eine Liste mit rund 800 Kunden dieses Händlers schickte sie später an das Bundeskriminalamt. Auch Edathy stand auf der Liste, seine Akte erreichte im Herbst 2013 die zuständige Staatsanwaltschaft in Niedersachsen. Die Filme, die Edathy zwischen Oktober 2005 und Juni 2010 in Kanada orderte, sind aufgrund einer Gesetzesänderung mittlerweile verboten. Damals war ihr Besitz aber noch legal, da sie zwar Nacktaufnahmen beinhalteten, aber keine Pornografie.

Die Staatsanwaltschaft entschied im Januar 2014 trotzdem, Ermittlungen aufzunehmen: Wer verhältnismäßig harmloses Material bestelle, so die Begründung, der konsumiere oft auch harte Kinderpornos. Daher die Hausdurchsuchung und die Recherchen im Bundestag, bei denen die Ermittler die Beweise fanden, die jetzt Gegenstand des Prozesses sind. Die Filme aus Kanada, die die Ermittlungen auslösten, tauchen in der Anklageschrift dagegen nicht mehr auf.

Was sagt Edathy selbst?

Er sagt, es sei „sicherlich falsch“ gewesen, die Filme aus Kanada zu bestellen. „Das will ich gerne einräumen. Aber es war legal.“ Zu den Vorwürfen aus der Anklageschrift hat er sich noch nicht detailliert geäußert. Er bestreitet jedoch, verbotene Fotos oder Videos über Bundestagsserver heruntergeladen zu haben.

Wie lange dauert der Prozess, und welche offenen Fragen muss das Gericht klären?

Die Richter haben zunächst neun Verhandlungstermine festgesetzt. Bis Ende April wollen sie abgesehen von Ostern an jedem Montag tagen und Zeugen aus Edathys Umfeld und aus der Bundestagsverwaltung hören. Für technische Frage ist an jedem Prozesstermin zusätzlich ein IT-Sachverständiger geladen.

Drei Fragen könnten im Mittelpunkt der Verhandlung stehen. Erstens: ob die Beweise der Staatsanwaltschaft tatsächlich Kinder- und Jugendpornografie beinhalten oder nur legale Nacktaufnahmen.

Zweitens: ob die Protokolle des Bundestagslaptops den Verdacht gegen Edathy zweifelsfrei erhärten oder ob im fraglichen Zeitraum auch andere Personen, zum Beispiel seine Mitarbeiter, den Computer genutzt haben.

Drittens wird Edathys Anwalt vermutlich Fehler der Staatsanwaltschaft beanstanden. Dass sich die Ermittler für eine Hausdurchsuchung entschieden, als die Indizienlage gegen Edathy noch äußert schwach war, hatte sein Verteidiger schon vor Monaten kritisiert. Ebenso, dass Journalisten immer wieder detaillierte Informationen aus den laufenden Ermittlungen zugespielt wurden. Mit einer Verfassungsbeschwerde scheiterte die Verteidigung zwar bereits. Am Freitag wurde aber bekannt, dass im Zusammenhang mit der undichten Stelle gegen den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig ermittelt wird (siehe Text auf Seite 4 ). Edathys Anwälte haben damit rechtzeitig zum Prozessauftakt neues Material bekommen.

Könnte der Prozess ohne Urteil gegen eine Geldauflage eingestellt werden?

Theoretisch ja. Edathys Anwälte, die Staatsanwaltschaft und das Gericht haben im Dezember bereits über eine Einstellung des Verfahrens vor Prozessbeginn diskutiert. Als Edathy im Dezember in Berlin vor Journalisten auftrat, sagte er, ihm sei aufgrund der „psychischen Belastung“ durch die Gerichtstermine an einer Einstellung gelegen. Die Richter lehnten aber vorerst ab: Das öffentliche Interesse sei zu groß, außerdem zeige sich der Angeklagte nicht einsichtig.

Beeinflusst der Prozess den Untersuchungsausschuss?

Wahrscheinlich nicht. Die Richter könnten zwar fragen, ob Edathy vorab einen Hinweis auf drohende Ermittlungen erhielt. Er würde dann aber vermutlich nur seine Aussage aus dem Ausschuss wiederholen: dass sein damaliger Fraktionskollege Michael Hartmann ihn schon im November 2013 eingeweiht habe, dass dieser seine Informationen vom damaligen BKA-Chef Jörg Ziercke erhalten habe und dass SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann die Warnung in Auftrag gegeben haben könnte. Ob diese Behauptung stimmt, wird vor Gericht nicht geklärt.

Wie sieht der Fahrplan des Untersuchungsausschusses aus?

Am Donnerstag tagt der Ausschuss wieder, allerdings zu einem anderen Komplex: Auf der Kundenliste aus Kanada stand auch ein hochrangiger Beamter des BKA. Aufgabe der Abgeordneten ist es auch, zu klären, ob bei den Ermittlungen gegen diesen alles mit rechten Dingen zuging. Edathy und seine mutmaßlichen Informanten werden voraussichtlich erst im April oder Mai wieder Thema. Dann wird wohl auch die SPD-Spitze vernommen. Dass sie frühzeitig im Bilde war, ist unstrittig: Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte Sigmar Gabriel während der Koalitionsverhandlungen über Edathys Problem informiert. Später musste er deswegen zurücktreten.

Welche Konsequenzen drohen Edathy und anderen Beteiligten?

Abgesehen von seinem Prozess hat Edathy schon fast alles verloren. Seine Karriere ist selbst im Fall eines Freispruchs ruiniert. Sollte er verurteilt werden, wird ihn die SPD vermutlich auch noch aus der Partei werfen. Sein Ausschlussverfahren ruht bis zum Urteil. Michael Hartmann, der Edathy gewarnt haben soll, sitzt noch im Bundestag. Die Staatsanwaltschaft prüft allerdings, auch gegen ihm Ermittlungen einzuleiten – wegen Strafvereitelung und Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss. Auch Ex-BKA-Chef Ziercke und anderen möglichen Beteiligten drohen Verfahren.