Das stört keinen kosmopolitischen Geist

Der Philosoph Kwame Anthony Appiah stellte in der American Academy sein Rezept für eine Ethik im globalen Zeitalter vor. Sein Anspruch, „plausible“ Vorschläge zu machen, was zu tun sei, klingt sympathisch, greift aber zu kurz

Wer danach fragt, was gut oder richtig ist, sucht nach Kriterien, die einerseits größtmögliche Verbindlichkeit haben, also am besten immer und für alle Menschen gelten sollten, andererseits aber die Bedürfnisse und Interessen von Individuen angemessen berücksichtigen. Zu den zentralen Schwierigkeiten der Ethik zählt daher die Vereinbarkeit abstrakter Normen mit den Anforderungen konkreter Lebenssituationen. Erschwert wird die Sache dadurch, dass die eigene Sicht oft durch Werte oder Vorstellungen geprägt ist, die nicht zwangsläufig verallgemeinerungsfähig sind. So können Herkunft oder Gruppenzugehörigkeit die eigene Position beeinflussen und ihren universalen Anspruch konterkarieren.

Die Reichweite ethischer Prinzipien steht daher unter dem Vorbehalt der Begrenztheit durch die Perspektive derer, die sie formulieren. Umso anspruchsvoller ist der Versuch, Ethik unter den Bedingungen der Globalisierung zu denken und sich dem Konflikt zwischen Allgemeingültigkeit und Partikularität in zugespitzter Form zu stellen. Genau das tut der in Yale lehrende Philosoph Kwame Anthony Appiah, der am Sonntagvormittag in der American Academy einen Einblick in seine „Ethik für ein globales Zeitalter“ gab.

Appiah, dessen Buch „Der Kosmopolit: Philosophie des Weltbürgertums“ jüngst im C. H. Beck Verlag erschienen ist, bringt denkbar günstige Voraussetzungen für ein solches Unterfangen mit. Er wurde in London als Kind einer britischen Mutter und eines ghanaischen Vaters geboren und wuchs in Ghana auf. Während seines Studiums in Cambridge machte er sich mit der begrifflichen Feinjustierung der sprachanalytischen Philosophie vertraut und widmete sich zunächst mit Fragen der Semantik – „hardcore analytical stuff“, wie der in Bremen lehrende Philosoph Stefan Gosepath in seiner Einführung bemerkte.

Von einem interkulturell geprägten philosophischen Präzisionsarbeiter wie Appiah wäre daher eigentlich ein trennscharfes Konzept für eine Ethik in weltbürgerlicher Hinsicht zu erwarten gewesen. Stattdessen blieb der skizzierte Entwurf sehr vage. Wie er eingangs bemerkte, lasse sich die Idee des Kosmopolitismus schon bei dem antiken Philosophen Diogenes von Sinope finden. Doch erst die Globalisierung habe diese Idee wirklich relevant gemacht. Appiah brachte seine Version des Kosmopolitismus auf die Grundformel „Universalität plus Differenz“: Einerseits erhebt seine Ethik einen universalen Anspruch, ohne ihre Wahrheiten für absolut zu erklären, denn wie jede Hypothese seien auch diese falsifizierbar. Andererseits erkennt sie (kulturelle) Differenzen an. Fremden Sichtweisen sei mit Offenheit und Toleranz zu begegnen.

Dem Einwand, seine Position sei banal, griff er mit der Erwiderung vor, dass der Kosmopolitismus viele Feinde habe, die entweder den Universalismus oder aber die Anerkennung von Differenzen ablehnten. Ein Kosmopolit sei dagegen jemand, der das Gespräch mit Andersdenkenden suche, um zu lernen und eigene Überzeugungen gegebenenfalls zu revidieren.

In der Diskussion machte sich jedoch bemerkbar, dass seine Formel so offen formuliert ist, dass sie vielleicht gar nicht richtig greift: Auf die Frage, was passiere, wenn die Teilnehmer eines Gesprächs ganz unterschiedliche Vorstellungen davon hätten, was zu tolerieren sei und was nicht, erwiderte Appiah kurzerhand, dass solche Gespräche in der Praxis meist funktionierten. „Warum muss man da noch fragen, ob dies auch in der Theorie funktioniert?“, lautete seine für einen Philosophen etwas verblüffende Gegenfrage. Scheitere das Gespräch hingegen, müsse man halt kämpfen.

Mit dieser Antwort ließ Appiah durchblicken, dass dem harmonischen Miteinander von Universalismus einerseits und der Anerkennung von Differenzen andererseits im Zweifelsfall enge Grenzen gesetzt sind. Die dazu erforderliche Balance könnte sich als höchst instabil, wenn nicht gar unmöglich erweisen. Appiahs Anspruch, seine Leser nicht über Gebühr mit Forderungen zu konfrontieren, sondern ihnen „plausible“ Vorschläge zu machen, was zu tun sei, klingt sympathisch. Doch die Unbestimmtheit seiner Theorie ist ein Problem: Die Forderung, Universalität und Differenzen zu versöhnen, erweist sich als Überforderung, weil sie völlig offen lässt, wie das konkret funktionieren soll. TIM CASPAR BOEHME