Trash, der seine Geschichte kennt

Sind Stereo Total die kreuzbergste Band der Welt? Warum wird diese Band so geliebt? Warum erfasst diese Liebe zu Cactus & Göring immer neue Generationen? Die Antworten gab das Duo selbst beim Abschlusskonzert ihrer Tour im Postbahnhof

VON JÖRG SUNDERMEIER

Natürlich lieben wir Stereo Total. Alle lieben Stereo Total. Es gibt zumindest kaum jemanden, der das Schaffen des Duos nicht wenigstens mit viel Sympathie betrachtet. Und das gilt auch für die Arbeit von Françoise Cactus und Brezel Göring als Solokünstler – sie als Autorin und Malerin, er als Rumpelelectromonster. Offensichtlich verkauft sich das Werk der beiden außerdem ganz gut, fast alle ihre Platten sind noch lieferbar. Der Merchandise-Stand ist selbst in Berlin, wo man oft die Gelegenheit hat, die beiden zu sehen, von Kaufwütigen schwerst umkämpft. So auch am vergangenen Sonntag, nach dem Auftritt im Postbahnhof, einem Club, der die Leute nach einem Konzert sonst eher schnell vertreibt. Hier stellten Stereo Total ihr neues Album „Paris–Berlin“ vor.

Aber wofür liebt man eigentlich Stereo Total? Nun ist die Frage nach dem Wofür eine, die man bei Fragen der Liebe nicht stellen sollte, reduziert sie doch ein heißes Verlangen auf kalte technische Erklärungen. Aber ein wirklich heißes Verlangen war beim augenscheinlich nahezu ausverkauften Konzert am Sonntag auch gar nicht zu spüren, mehr eine große Heiterkeit, ein ausgelassenes Mit-Freunden-Herumtoben. Wobei die beiden auf der Bühne allerdings arbeiten mussten, während wir Party machen konnten. Dass die beiden erschöpft waren, sagten sie selbst, sie hatten eine Europa-Tournee hinter sich und 19 Auftritte in 21 Tagen bestritten, doch von einem Burn-out merkte man ihnen nichts an. Sie spielten auffällig viele sehr frühe Songs, hoben sich eines der schönsten Stücke, „Komplex mit dem Sex“ für das Ende der zweiten Zugabe auf, die sie locker einplanen konnten. Françoise und Brezel, jeder nennt sie selbstverständlich so, Françoise und Brezel also signalisierten deutlich, dass mit dem Ende der zweiten Zugabe auch das wirkliche Konzertende gekommen sei, sie winkte freundlich lächelnd und gespielt steif ins Publikum, er rockmonsterte noch einen Augenblick, legte die Gitarre dann abrupt ab, und Schluss. Schön war’s. Danke.

Gut finden, treu bleiben

Zugleich hat sich an diesem Sonntagabend aber wieder einmal fast von selbst erklärt, warum man diese Band liebt, ihnen schlechte Auftritte und Lieder nicht nachträgt, warum man nicht einmal den elenden Reflex verspürt, sie, wie andere zu Ruhm gekommene Indie-Stars, die man selbst „am längsten“ kennt, ein wenig aus Neid heraus zu verachten, sondern sie einfach weiter gut findet, loyal bleibt, ja, treu. Zum einen nämlich gibt es kaum eine Band, die weniger von dem ganzen Popstargewese um sie herum besoffen wäre. Während andere Kellerbands schon nach einer Spex-Erwähnung glauben, die ganze politische Weltlast auf den schmalen Schultern nicht nur zu verspüren, sondern auch stemmen zu müssen, und von dem Augenblick an strategisch, taktisch und mediengerecht agieren und anstrengend werden, lehnen Stereo Total diese Verantwortung einfach ab. Dennoch treten sie wie selbstverständlich auf Soli-Konzerten auf, greifen sogar sogenannte gesellschaftliche Probleme auf und thematisieren Stricherjungen und Genderfragen, doch das alles mit einer solchen Ungezwungenheit, dass ihnen eben nicht vor lauter Welterklärwahn und Popstarvorbildlichkeit der Unterhaltungswert verloren geht.

Außerdem tun sie sehr vieles nicht, was andere Bands von ihrem Bekanntheitsgrad glauben, eben diesem Bekanntheitsgrad zu schulden. Zum Beispiel machen sie keine Rockposergesten, und wenn Brezel Göring solche andeutet – wie am Sonntag –, dann brechen sie sich an Cactus’ gespielter Damenhaftigkeit und an der Trash-Atmosphäre, die sie selbst in so einen ordentlichen Ort wie den Postbahnhof hineintragen können. Stereo Total stellen sich auch nicht als Dinos des popkulturellen Wissens aus. Wer „Push it“ von Salt & Pepper oder „My Way“ nicht kennt, hat bei Stereo Total trotzdem Spaß und wird nicht als Dummkopf geoutet. Der Trash ist bei dieser Band nämlich noch der alte, achtzigerjahrehafte, geerdete. Dessen Ironie bedarf noch einer Geschichtskenntnis und einiger moralisch-politischer Gewissheiten. Dieser Trash lebt eben nicht von billiger Selbstverarsche oder, schlimmer noch, der Verhöhnung der Beschädigten. Diese aufrechte Haltung schätzen nicht nur nun auch schon ältere Kreuzberger, sondern auch viele lustige Neuberliner. Das Publikum war nämlich überraschend jung und begeistert, und diese Begeisterung versuchten ihnen die beiden, die nun so alt sind wie die Eltern dieser jungen Fans, auch nicht zu nehmen.