Spiegelei oder Omelette?

GEMÜSEPOP Chris Taylor, Bassist der Band Grizzly Bear, erkundet heute im Magnet Club mit seinem Soloprojekt Cant die düstere Seite von Soul und Funk

Es muss schon ein merkwürdiges Gefühl sein. Da arbeitet jemand jahrelang als Musiker und Produzent, schraubt an den Platten anderer herum, gibt ihnen den letzten Schliff – und hat noch nie einen eigenen Song geschrieben. Chris Taylor, der bei den Art-Rockern Grizzly Bear Bass spielt und schon eine Reihe von Alben für andere Künstler produziert hat, kennt diese Erfahrung nur zu gut. Heute ist er mit seinem neuen Projekt Cant im Magnet Club zu erleben. Doch für den Dreißigjährigen war es ein weiter Weg bis dorthin.

„Ich kann anderen helfen, ihre Songs zu beenden“, so Taylor. „Dafür werde ich normalerweise bezahlt. Als ich es dann selbst probiert habe, war es plötzlich die schwerste Sache der Welt. Das wollte ich unbedingt verstehen: Warum habe ich versucht, Songs zu schreiben, seit ich 16 bin, und sie immer abgebrochen?“ Die Selbstzweifel waren bei der Arbeit am Material einfach zu groß. Taylor hatte jedoch das drängende Gefühl, er müsse seine eigenen Songs schreiben.

Die Rettung kam in Gestalt eines Kunden. George Lewis jr. alias Twin Shadow, dessen Solodebüt Taylor produzierte, wurde zum Geburtshelfer für Taylors erstes selbst komponiertes Material. Schon bei der Arbeit am Twin-Shadow-Album war für Taylor schnell klar, dass er hier jemanden gefunden hatte, der seine musikalischen Vorlieben teilt, mit dem er zum ersten Mal eine große Leidenschaft ausleben konnte: „Ich bin mit Soul und Funk aufgewachsen. Diese Musik war immer schon ein Teil von mir. Ich wollte dem stets stärker nachgehen, aber mit Grizzly Bear funktioniert so etwas nicht.“

Tatsächlich klingen die Funk-Elemente auf Taylors Soloalbum „Dreams Come True“ so unerwartet, dass man meinen könnte, sie seien auf Lewis’ Einfluss zurückzuführen. Dabei hat Taylor den größten Teil der Arbeit am Album im Alleingang gestemmt – zu allein für ihn, wie er sagt. Zunächst allerdings hatte er sich mit Lewis und einem Haufen Instrumente in ein verlassenes Studio zurückgezogen, wo sie 14 Tage lang einfach Material einspielten und ausgiebig kochten – noch eine Leidenschaft, die sie teilen.

Für ihre gemeinsame Arbeit wählt Taylor denn auch gern Vergleiche aus der Küche. „Wenn man ein Ei nimmt und es aufschlägt, dann sind George und ich die beiden Hälften der Schale. Das, was in der Pfanne landet, ist das, was wir zusammen gemacht haben. Danach musste ich entscheiden, ob es ein Spiegelei wird oder ein Rührei, welche Kräuter ich hinzufüge, oder ob ich doch ein Omelette daraus zubereite.“

Herausgekommen ist eine sehr persönliche Version von Pop, mal ganz schwerfällig-dreckiger Funk, mal düster-introspektiver elektronischer Pop, der mit seinen Anleihen bei Industrial meilenweit von den oft bonbonbunten Synthiewelten im Stile der guten alten Achtziger ist. Als Sänger nimmt Taylor sich stark zurück, seine intimen Texte brauchen kein expressives Ego.

Nur selten erinnert „Dreams Come True“ an Grizzly Bear. Deren Fans müssen trotzdem nicht fürchten, dass Taylor sich aus seiner alten Band verabschiedet. Eine neue Grizzly-Bear-Platte ist schon in Arbeit. Taylor selbst ist erleichtert: „Während ich an meinem Album arbeitete, habe ich mich die ganze Zeit darauf gefreut, die drei Typen wieder mit mir im Raum zu haben.“

TIM CASPAR BOEHME

■ Cant: „Dreams Come True“ (Warp); live: heute, 20 Uhr, Magnet Club