Ein unterdrückter Freiheitswunsch

REPRESSION Im Oktober haben Teheraner Richter ein drakonisches Urteil bestätigt: sechs Jahre Haft für Jafar Panahi. Panahis jüngster, zusammen mit Mojtaba Mirtahmasb gedrehter Film ist heute in Berlin zu sehen

Der geschlossene Raum wird in „In film nist“ zu einem hoch empfindlichen Resonanzkörper

VON DOMINIK KAMALZADEH

Das anfängliche Telefonat im Film wurde mittlerweile von der Wirklichkeit überholt. Der Filmemacher Jafar Panahi, der von einem iranischen Gericht zu einer sechsjährigen Haftstrafe und einem 20-jährigen Arbeitsverbot verurteilt wurde, erkundigt sich bei seiner Anwältin darüber, wie hoch seine Chancen stehen, dass seine Strafe in nächster Instanz abgemildert wird. Sie antwortet schon hier nicht besonders optimistisch, glaubt aber, den Richter zu einer maßvollen Reduktion bewegen zu können. Im Oktober wurde das Urteil nun bestätigt – und in keiner Weise abgeschwächt.

„In film nist“ („This is not a Film“), den Panahi gemeinsam mit dem mittlerweile ebenso inhaftierten Dokumentaristen Mojtaba Mirtahmasb realisiert hat, ist weit mehr als das Dokument eines Künstlers, der von seinem Regime zum Schweigen gebracht wird, weil er einen Film über die politische Erneuerungsbewegung im Iran in Planung hatte. Es handelt sich vielmehr um eine Reflexion über den Wert und das Ethos des Filmemachens an sich, gedreht unter indirekter Umgehung des Filmverbots und somit in jeder Hinsicht davon betroffen: ein paradoxes Werk, das seine Größe gerade aus der Darstellung des Nichtdarstellbaren gewinnt.

Schauplatz des Films ist Panahis Wohnung, in der wiederum er und sein Regiekollege Mohammad Rasoulof im März 2010 verhaftet wurden, als sie das Skript zu einem neuen Film durchlasen, in dem es um ein Mädchen gehen sollte, dessen Freiheitswunsch unterdrückt wird. Daran schließt Panahi nun an, wenn er eine Szene des Films ausführlich in seinem Wohnzimmer am Teppichboden skizziert. Doch er unterbricht sich selbst: „Wenn wir einen Film erzählen können, warum sollen wir ihn dann noch machen?“

Panahi bezeichnet damit genau jenen Moment der Unberechenbarkeit bei der Herstellung eines Werks, in dem sich etwas außerhalb des Plans, der Kontrolle des Regisseurs offenbart. Das Spiel mit den Mitteln der Improvisation, das die verbürgten Grenzen zwischen Fiktion und Dokument aufzuheben vermag, hat im iranischen Kino eine lange Tradition. Panahi selbst bringt dafür im Film Beispiele aus seinem Werk: Den Taxiboten in „Crimson Gold“, dessen Gesichtsausdruck nach einer Demütigung durch einen sozial Höhergestellten keine Regieanweisung hätte hervorbringen können; das kleine Mädchen aus „The Mirror“, das sich beim Dreh plötzlich lautstark verweigert (und damit die Sympathie des Filmemachers weckt).

Diesmal ist freilich der Filmemacher selbst in der Situation, aus seiner von außen aufgezwungenen Lage ausbrechen zu müssen – oder zumindest die Möglichkeit zu sondieren. Der geschlossene Raum, im Kino Panahis bisher die Ausnahme, wird in „In film nist“ selbst zu einem hoch empfindlichen Resonanzkörper, der zahlreiche Schwingungen vom gesellschaftlichen Außen aufnimmt, ohne dass diese sich restlos aufklären ließen. Sind es Feuerwerkskörper anlässlich der Feierlichkeiten zum Nowruz-Fest, die draußen krachen, oder handelt es sich doch um Schüsse? Die technologischen Mittel, das iPhone und der Computer, reichen nicht weit genug, um sich ein gültiges Bild zu machen. Die Filmemacher filmen sich selbst „wie zwei Friseure, die sich gegenseitig die Haare schneiden“. Doch es wäre nicht das Kino von Panahi, wenn es nicht auch in diesem überraschend lichten Film Überraschungen gäbe: unerwartete Gäste, die die Welt ins Exil bringen.

■ „In film nist“ („This is not a Film“). Regie: Jafar Panahi, Mojtaba Mirtahmasb. Iran 2011, 74 Min. 9. 11. , 20.30 Uhr, Kulturbrauerei