Ärztin statt Abschiebung

20.000 Menschen ohne Papiere leben in Bremen. Werden sie krank, sind sie sich selbst überlassen. Eine Studie des Bremer MediNetzes erforscht nun den Umgang der Ärzte mit papierlosen Patienten

Von Christian Jakob

Als die Afrikanerin Martha B. zum zweiten Mal schwanger wurde, hatte sie ein Problem. B. lebte ohne Aufenthaltstitel in Bremen – und war deswegen nicht krankenversichert. Sie bat ihre Frauenärztin um eine „private Abrechnung“. Doch als es nach einigen Wochen zu Problemen kam und eine Frühgeburt drohte, wurde der Gynäkologin die Sache zu heikel. Sie drängte B., ihr einen Versicherungsnachweis vorzulegen.

Martha B. ist bei weitem kein Einzelfall. „Es gibt in Bremen schätzungsweise 20.000 Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus, denen der Zugang zum Gesundheitssystem verwehrt wird,“ sagt Ute Bruckermann vom MediNetz für medizinische Flüchtlingshilfe. Um auszuleuchten, wie es um deren gesundheitliche Versorgung bestellt ist, hat die Initiative den Sozialforscher Andreas Wiesner nun mit einer Studie beauftragt.

„Es gibt bundesweit so gut wie überhaupt keine Zahlen in dem Bereich,“ sagt Wiesner. „Was wir vor allem wollen, ist mehr Wissen“. 900 Bremer Arztpraxen hat er zu ihren Erfahrungen mit papierlosen Patienten befragt. Noch in diesem Jahr sollen die Ergebnisse vorliegen. Die evangelische Kirche finanziert das Projekt, Unterstützung erhält Wiesner vom Bremer Gesundheitsamt und der Ärztekammer.

„Für die überwiegende Mehrzahl der Ärzte ist es klar, dass jeder behandelt wird, auch wenn er keine Papiere und Versicherung hat,“ sagt der stellvertretende Geschäftsführer der Bremer Ärztekammer, Franz-Josef Blömer. Die Ärzte machten sich dabei nicht strafbar, doch sei es vor allem bei schweren Krankheiten sehr mühsam, in jedem Einzelfall nach neuen Lösungen zu suchen. „Kein niedergelassener Arzt kann die Behandlung eines Krebskranken auf eigene Rechnung durchführen.“

Schon eine Schwangerschaft kann die Grenzen informeller Behandlung sprengen. So wie im Fall von Martha B. Als ihre Frauenärztin auf eine Versichertenkarte drängte, vermittelte B.s Anwalt sie an das MediNetz. „Wir haben uns von der Ärztin von Frau B. bescheinigen lassen, dass eine Risikoschwangerschaft vorliegt – denn dies bedeutet einen Abschiebeschutz,“ sagt Bruckermann. „Damit sind wird dann zur Ausländerbehörde gegangen. Und am Ende musste das Sozialamt für die Geburt aufkommen.“ B. brachte eine gesunde Tochter in einem Bremer Krankenhaus zur Welt.

In anderen Fällen ist das nicht so leicht: „Bei komplikationsfreien Schwangerschaften oder nicht lebensbedrohlichen Krankheiten wird abgeschoben, statt behandelt,“ sagt Bruckermann. Viele Papierlose würden mit geliehenen Versicherungskarten zum Arzt gehen, hohe Arztrechnungen aus eigener Tasche zahlen – oder sich aus Angst vor der Ausländerbehörde gar nicht behandeln lassen. „Vor allem MigrantInnen aus Ländern, ohne große Exilcommunities haben es sehr schwer.“ In solchen Fällen vermittelt das MediNetz die PatientInnen an Ärzte, die nicht nach Papieren fragen. Knapp 200 MigrantInnen finden jedes Jahr den Weg in das Büro in der Bernhardstraße. Ihre Forderung an die Politik ist eindeutig: „Am liebsten würden wir uns selbst überflüssig machen. Die öffentliche Gesundheitsversorgung muss sich endlich auch denen öffnen, die keinen Stempel im Pass haben, Papierlose müssen in die Regelversorgung eingebunden werden, wie jeder andere auch,“ sagt Bruckermann.