Millers Hirnzellen tanzen

Wer ist die größte Rampensau? In „Roomservice“, einer alten Broadwaykomödie, tobt das Ensemble der Schaubühne mit vollem Körpereinsatz um ihren still grinsenden Stargast Kurt Krömer

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Er ist ihr Stargast, ihr Ansporn und vielleicht sogar ihr Held. Er darf fast als Einziger an diesem Abend die Klamotten anbehalten und wird weder gefickt, bepisst noch bekotzt wie die meisten anderen. Je verhaltener sein Spiel, desto mehr hauen die anderen auf die Pauke und lassen raus, was an Wildheit und Verrücktheit in ihnen steckt. Er grinst, sie zeigen Körpereinsatz. Kurt Krömer, Entertainer und normalerweise der Herr seiner eigenen Shows, spielt mit dem Ensemble der Schaubühne „Roomservice“.

Eines scheint klar: So einer wie Krömer, der seinen Aufstieg zum Show- und Fernsehstar der Bissigkeit seines Witzes und dem aggressiven Spiel mit den Minderwertigkeitskomplexen eines Neuköllner Underdog verdankt, wären sie alle gern. Eine Kunstfigur, durch das eigene Leben beglaubigt. Deshalb schien es tatsächlich eine gute Idee des Regisseurs Thomas Ostermeier, mit ihm zusammen „Roomservice“ auf die Bühne zu bringen. Denn das ist eine alte Broadwayklamotte, die eben davon erzählt, dass Kunst und Theater ohne Größenwahn und Hochstapelei niemals ihren Weg zur Realisierung fänden. Krömer spielt den Theaterproduzenten Gordon Miller, der verschuldet und ohne Produktionsmittel die letzten Tage vor einer Premiere in einem Hotel durchzustehen versucht. Im Nacken sitzen ihm der Hoteldirektor, ein hungerndes Ensemble, Inkasso-Agenten und ein geplatzter Scheck. Alles, was ihn jetzt noch retten kann, sind Hinhaltemanöver, Vortäuschungen, Halbwahrheiten.

Keine Frage, dies ist ein Tür-auf-Tür-zu-Stück und hinter jeder Tür der falsche Besucher. Türen gibt es reichlich im Bühnenbild von Jan Pappelbaum, dem ansonsten wohl der abgeranzte Charme eines runtergekommenen Broadwayhotels etwas schwer fiel. Es sieht immer noch nach den bürgerlichen Wohnwelten früherer Ostermeier-Stücke aus. Und das ist anscheinend überhaupt das Problem der Inszenierung: Dieser Haufen von Halbweltfiguren, die sich nur mit Tricks und Betrug über Wasser halten können, liegt dem Ensemble dann doch wohl zu fern, um ihn anders denn als grob umrissenes Klischee auf die Bühne zu bringen. Einzig den Hotelmanager Joseph Gribble, der zwischen Mitleiden und Furcht vor dem eigenen Absturz schwankt, spielt Thomas Bading mit wunderbaren Stufen zwischen Wut, Verzweiflung, guten Vorsätzen, Wappnung und Resignation.

Es gibt einige wunderbare Szenen in dieser Komödie. Zum Beispiel die Rede, die Gordon Miller auf den vermeintlich soeben aus Verzweiflung gestorbenen Autor des Stückes hält. Sein eigentliches Ziel ist dabei, den Hoteldirektor von einem Telefonanruf bei der Polizei abzuhalten. Er muss also improvisieren und scheint sich dabei erst in völligem Stuss zu verheddern, bis es ihm gelingt, aus unsinnigen Details eine ergreifende Biografie zu stricken. Da glaubt man für Augenblicke wirklich den Hirnzellen Millers auf ihrem verrückten Kurs zuzuschauen.

Allein solche Szenen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die drei Stunden der Inszenierung auch gewaltig lang sind. Der Druck auf das Tempo und der Wunsch nach ständiger Überbietung sind zwar spürbar, aber was fehlt, ist die Leichtigkeit alter Screwball-Komödien. Auch da, wo sich das Theater hier offensichtlich einen Spaß daraus machen will, die eigenen Mittel auszustellen, bleibt dies immer zu sehr im Absichtsvollen. Daran krankt letztlich die ganze Inszenierung. Man sieht zu viel von der großen Anstrengung, die es kostet, komisch sein zu wollen.

Wieder am 2., 4., 14.–19. November